Rede von Shimon Peres
am 24.01.02 vor dem europäischen Parlament
Außenminister Shimon Peres wandte sich am Mittwoch, den 23. Januar
2002 an die parlamentarische Versammlung des Europarates in Strassburg Er
sagte in seinen Eröffnungsworten: Gestern früh verließen wir
Jerusalem, eine sehr traurige Stadt, in der viele Familien mit den
Schrecken des Terrors und dem Verlust ihrer Lieben konfrontiert sind. Und
wieder ziehen schwarze Wolken am Himmel über Jerusalem und Israel
empor.
Ein Polizist bringt eine Frau vom
Explosionsort einer Bombe weg, die von palästinensischen Terroristen am
22.01.02 in Jerusalem gezündet wurde und unschuldige Passanten getötet
hat
Es entspricht weder unserem Wunsch, noch sind wir bereit, diesen
Zustand als Lebensnorm oder festen Brauch in unseren Beziehungen mit den
Palästinensern zu akzeptieren. Grundsätzlich wünschen wir friedliche
Beziehungen zwischen dem palästinensischen Volk, den arabischen Ländern
und Israel. Wir streben nicht nach Krieg, wir streben nicht nach Siegen.
Tief in unseren Herzen wissen wir, dass gute Nachbarn besser sind als gute
Waffen. Und in der Tat haben wir mit zwei Ländern Frieden geschlossen.
Wir haben das Gebiet eines dritten Staates geräumt und einem vierten Land
einen Frieden angeboten. Wir haben den Ägyptern das gesamte Land, Wasser
und Öl zurückgegeben, ohne dass es dafür eines Bin Laden oder
irgendwelcher Terroraktionen bedurfte. Wir haben Jordanien das gesamte
Land und das gesamte Wasser zurückgegeben, wiederum ohne dass durch
Bomben oder Gewehre Druck ausgeübt werden musste. Übrigens haben wir
dies getan, nachdem wir einen Krieg gewonnen, nicht nachdem wir einen
verloren haben. Wenn die Rede auf die Palästinenser kommt, weiß ich,
dass Leute sagen: Setzt der Besetzung ein Ende, gebt ihnen das Land
zurück und schließt Frieden.
Shimon Peres am 23. Januar 2002 vor dem
europäischen Parlament
Tatsächlich haben wir auch das versucht. In Camp David haben unser
ehemaliger Premierminister Barak und Präsident Clinton den
Palästinensern nicht die Rückgabe ihres gesamten Landes, sondern von 96%
bis 97% dessen angeboten. Über die übrigen 2% bis 3% hätten sie
verhandeln können. Es fällt Israel und den Israelis schwer zu verstehen,
warum die Palästinenser dieses Angebot abgelehnt haben. Was ist falsch
gelaufen? Ich bin sicher, dass im Falle von Jordanien und Ägypten Terror
nicht notwendig war, doch im Falle der Palästinenser ist es der Terror,
der ein Abkommen verhindert hat und einem solchen bis zum heutigen Tag im
Wege steht. Ich möchte so objektiv sprechen, wie ich nur kann. Ich frage
mich, warum es einen arabischen Terror gibt.
Krankenwagen Nähe der Jaffa Road nach
dem Terroranschlag vom 22.01.02
Es gibt mehr als eine Antwort auf diese Frage. Einige sagen, dass
Arafat nicht zufrieden sein wird, bis er alles erhält, was er möchte. Er
stand kurz davor, viel von dem zu erhalten, was er wollte. Auch Israel hat
seine Probleme. Es geht hier nicht darum, dass wir bestimmte
Zugeständnisse machen wollen oder nicht, doch möchten wir auch
Sicherheit für unser eigenes Volk. Wir sind zwei Völker, die auf einem
kleinen Stück Land leben; wir sind integriert, wir leben neben- und
untereinander. Wir müssen Beziehungen schaffen, die diesem Zustand
gerecht werden. Einige behaupten, Arafat sei nicht interessiert, einen
Krieg zu führen. Doch wenn Leute glauben, Arafat sei interessiert,
Frieden zu schließen, stellt sich die Frage, warum er es nicht tut. Hier
liegt das Problem für jemanden wie mich. Meine Antwort lautet , dass es
nicht wegen seiner Position ist, sondern wegen seiner Disposition. Es
besteht keine Chance, dass Arafat mit uns Frieden schließen kann oder wir
mit ihm Frieden schließen, sofern er nicht eine grundsätzliche Sache
tut, die für alle Staaten und Institutionen notwendig ist: Kontrolle
über alle bewaffneten Kräfte, über alle Waffen und alle Menschen
auszuüben, welche diese Waffen benutzen.
Gezündete Bombe palästinensischer
Terroristen in einer Plastikflasche
Ich fürchte, dass, solange es vier oder fünf Gruppen gibt, die alle
eine unterschiedliche Agenda haben und eigene Waffen und Bomben besitzen,
Arafat mit ihnen Koalitionen schließen muss. Sie werden ihre Waffen nicht
aufgeben. Sie werden weiterhin an diesen festhalten. Arafat wird nicht
verantwortlich sein und keine Kontrolle über seiin Volk ausüben. Einige
Palästinenser, auch Arafat selbst, haben mir gesagt: In Ihrer
Regierung bestehen auch unterschiedliche Ansichten. Das ist richtig.
Wir haben verschiedene Ansichten, aber nur ein Gewehr. Die Palästinenser
haben eine Ansicht, aber viele Gewehre. Es ist nichts daran auszusetzen,
dass die Palästinenser verschiedene Ansichten haben. Wir sagen nicht,
dass sie die Ansicht Arafats oder einer anderen Person teilen müssen,
doch wird es keinen Frieden geben, solange Gruppen bestehen, die von
Syrien oder dem Iran Befehle erhalten - gelegentlich Befehle, die nichts
mit dem palästinensischen Volk zu tun haben, sondern mit dem Bestreben
einiger Geistlicher in der islamischen Welt, alle arabischen Länder zu
kontrollieren.. Wir wollen mit den Palästinensern Frieden schließen. Wir
anerkennen ihre Rechte. Wir anerkennen ihr Recht, selbständig, mit
Anstand und in Wohlstand zu leben. Sie sind nicht unsere Feinde. Weder
ihre Religion noch ihr Staat sind unsere Feinde. Unser Feind ist auch Ihr
Feind, und das ist der Terror.