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"Israel wird niemals allein stehen"  

Joschka Fischer im WELT-Interview: Die Europäer gelten im Nahen Osten als "ehrbare Makler". Bin Laden hat nur strategisches Interesse an den Palästinensern

Aussenminister Joschka Fischer
Foto: AP
Berlin - Wieder ein Terroranschlag in Jerusalem, dennoch gibt es Hoffnung für den Nahen Osten: Palästinenserpräsident Jassir Arafat und Israels Außenminister Schimon Peres reden wieder miteinander. Es ist nicht das alleinige Verdienst von Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne), aber er hat seinen Anteil daran, wenn die beiden Konfliktparteien verhandeln. Im WELT-Interview hebt Fischer hervor, dass die Europäer an politischem Gewicht im Nahen Osten erheblich gewonnen haben, wenn sie auch die USA nicht ersetzen können - was sie aber auch nicht wollen.

DIE WELT: In der israelischen Politik wie auch in der Gesellschaft macht sich das Gefühl breit, außerhalb der Anti-Terror-Allianz zu stehen. Haben die Israelis mit diesem Gefühl Recht?

Joschka Fischer: Sie haben nicht Recht. Es wäre ein großer Fehler, Israel isolieren zu wollen. Ich weiß, dass es die Ängste dort und auch in den jüdischen Gemeinschaften überall auf der Welt gibt, Israel müsse die Rechnung begleichen für die Anti-Terror-Allianz. Das ist falsch. Wir sehen allerdings, dass diese Ängste real sind. Und Ängste zählen in der Politik durchaus. Insofern ist es wichtig, dass wir klar machen - das war auch eine Aufgabe, die ich mir bei meinem letzten Besuch auferlegt habe -, dass Israel nicht allein steht und niemals allein stehen wird. Das ist für uns auf Grund unserer besonderen Beziehungen zu Israel eine Selbstverständlichkeit und in solchen Zeiten besonders zu betonen.

DIE WELT: Was könnten die Deutschen, was können die Europäer tun, um Israel das Gefühl zu nehmen, erneut Paria zu sein?

Fischer: Erst einmal muss man feststellen, dass - seit Javier Solana Mitglied der Mitchell-Gruppe wurde - es gelungen ist, die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Israel substanziell zu verbessern. Wir verfügen über eine permanente Präsenz der Europäischen Union in der Region durch den Sonderbeauftragten Miguel Moratinos, der unter Solana arbeitet. Die EU-Beobachter leisten eine vorzügliche Arbeit. Wir haben ihnen die sechswöchige Waffenruhe um Beit Dschallah mit zu verdanken. Die Israelis tun sich noch schwer mit der Statusfrage solcher Beobachter, aus Gründen, die auf der Hand liegen. Ihnen ist an einer Internationalisierung des Konfliktes nicht gelegen; die Palästinenser hingegen möchten sie. Aber die praktischen Ergebnisse dieser Beobachtergruppe sind exzellent. Solana spielt mittlerweile eine entscheidende Rolle bei der Koordination unserer Nahostpolitik. Er ist inzwischen bei Israelis wie Palästinensern ein wichtiger, hochangesehener Gesprächspartner. Diese Klimaverbesserung gilt auch für die Fortentwicklung der nationalen Beziehungen zu Israel im Rahmen der EU. Die Reise des französischen Außenministers Hubert Védrine in den Nahen Osten war erfolgreich - gerade auch in Israel. Also, die europäische Rolle hat sich seit dem Frühjahr qualitativ verbessert.

DIE WELT: Gegen oder mit den Amerikanern?

Fischer: Mit. Wir können und wollen die Vereinigten Staaten dort nicht ersetzen. Mittlerweile aber können wir sie ökonomisch und politisch ergänzen. Die deutsche Politik hat dazu nicht unwesentlich beigetragen.

DIE WELT: Wird das von Israel auch so gesehen?

Fischer: Ja. Seit der Mitchell-Gruppe, an der die Europäer beteiligt waren, gibt es an ihrer Rolle in der Region keinen Zweifel. Mit der Mitchell-Gruppe und ihrem Plan haben wir erreicht, dass Amerikaner, Europäer, Russen und die Vereinten Nationen eine einzige Position vertreten. Das frühere Spiel: "Erreiche ich nichts in Washington, fahre ich nach Brüssel oder in die europäischen Hauptstädte oder umgekehrt", funktioniert nicht mehr.

DIE WELT: Der israelische Außenminister Schimon Peres scheint das nicht ganz so zu sehen. Er macht den Europäern den Vorwurf, sie nährten bei Arafat die Erwartung, er könne so weitermachen wie bisher.

Fischer: Ich verstehe zwar, was Schimon Peres bewegt. Aber ich war an vielen Gesprächen beteiligt und weiß, dass Europäer, Amerikaner und der Generalsekretär der Vereinten Nationen mit einer Stimme sprechen. Seit langem wissen wir, wie wichtig diese einheitliche Position ist. Die Rolle der Europäer in der Region ist mehr und mehr die des "ehrbaren Maklers". Israel versteht die europäische Haltung längst nicht mehr als einseitig proarabisch.

DIE WELT: Manche Regierungen konnte man zumindest zeitweilig als proarabisch bezeichnen.

Fischer: Die Deutschen hatten immer eine andere Position. Das war und ist auch immer mein ceterum censeo den europäischen Kollegen gegenüber. Selbst wenn ich alle Kritik teilen würde, die gegenüber Israel vorgebracht wird - was ich nicht tue -, würde ich dennoch stets meine Position vertreten. Wenn ich eine politische Rolle spielen möchte, muss ich offene Türen bei beiden Konfliktparteien vorfinden. Es nützt nichts, dass mich die eine Partei vereinnahmt und die andere ablehnt. Insofern ist die Veränderung der europäischen Haltung bedeutend.

DIE WELT: Einige in der arabischen Welt haben einen Zusammenhang hergestellt zwischen dem Terror, hinter dem Osama Bin Laden steckt, und dem Nahostkonflikt. Sehen Sie eine Verbindung?

Fischer: Seit es den Staat Israel gibt, wird der Nahostkonflikt in der arabischen Welt instrumentalisiert. Das tut auch Bin Laden. Ich glaube nicht, dass Bin Laden Interesse an den Palästinensern jenseits der strategischen Aspekte hat. Übrigens sagen Ihnen das die Palästinenser ganz offen. Bin Ladens Interesse ist es, im gesamten Nahen Osten einen Umsturz herbeizuführen, seinen Gottesstaat zu errichten, die USA aus der Region zu vertreiben und Israel zu zerstören. Der Nahostkonflikt, die Existenz Israels spielen bei den arabischen Massen emotional eine große Rolle. Das zu leugnen wäre töricht. Nur, die direkte Kausalität: Löse den Nahost-Konflikt, und der islamistische Terrorismus existiert nicht mehr, ist schlicht falsch. Sehen Sie nach Algerien, in den Irak, nach Afghanistan und Kaschmir. Sie werden all diese Konflikte nicht durch einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern lösen können. Gleichwohl wäre ein Fortschritt im Friedensprozess in Nahost insgesamt sehr hilfreich.

DIE WELT: Hat sich der Druck der Amerikaner auf Israel nach dem 11. September erhöht?

Fischer: Es geht nicht um Druck auf Israel und die Palästinenser. Was wir mit großer Sorge sehen, ist, dass sich bei beiden Konfliktparteien die Stimmung in der Bevölkerung radikalisiert. Das führt dazu, dass sich beide Seiten weiter voneinander entfernen und die Gewalt eskaliert. Eine Gewaltlösung kann es aber niemals geben. Bei uns wird allerdings oft unterschätzt, dass die Existenzfrage Israels nicht nur eine theoretische ist. Israel kann sich eine Niederlage nicht einmal für zwei Tage erlauben. Dann existiert dieser Staat nicht mehr. Afghanistan befindet sich seit 22 Jahren im Krieg. Ich hoffe, diese Kriegszeit ist bald beendet. Aber Afghanistan wird weiter existieren, auch nach diesen 22 Jahren. Bei Israel ist das anders. Deshalb spielt der Sicherheitsfaktor für Israel eine existenzielle Rolle. Umgekehrt werden auch die Palästinenser aus der regionalen Realität nicht verschwinden. Das heißt, dieser Konflikt kann durch Gewalt nicht gelöst werden. Wir müssen deshalb alles tun, um diesen Konflikt einzudämmen und schließlich zu politischen Verhandlungen zurückzukehren. Das ist eine Sisyphus-Arbeit.

DIE WELT: Israel leidet unter dem Terror palästinensischer Extremisten. Wie soll es Ihrer Meinung nach gegen diese Gewalt vorgehen? Ist die Tötung mutmaßlicher Terroristen legitim?

Fischer: Israel sagt, das wäre Selbstverteidigung. Die internationale Staatengemeinschaft lehnt das ab. Aber das ist keine Rechtsfrage. Der wichtige erste Schritt ist, dass wir die Gewalt eindämmen und möglichst schnell beenden. Gewalttäter müssen wirklich festgenommen und in Gefängnisse gesteckt werden. Das setzt aber auch voraus, dass die Gefängnisse nicht angegriffen werden. Und das wiederum setzt voraus, dass die Tötungen dauerhaft beendet werden. Wenn es bei der Gewalt bleibt, werden wir noch viel schlimmere Verhältnisse erleben.

DIE WELT: Ist Arafat überhaupt in der Lage, gegen Terroristen vorzugehen?

Fischer: Arafat hat die Kontrolle. Er ist Präsident und hat seine Verantwortung zu tragen. Entscheidend aber ist, dass der Gesamtansatz stimmt. Es geht auch darum, Arafat nicht zu isolieren. Auch er steckt in einer sehr, sehr schwierigen Situation. Auch ihm darf man sein Geschäft nicht weiter erschweren. Nun haben beide Seiten ihre innenpolitischen Zwänge. Das größte Problem sehe ich im völligen Verlust des Vertrauens in den jeweils anderen. Aus diesem Grund ist der Einsatz einer dritten Partei, der beide Seiten vertrauen, von essenzieller Bedeutung.

DIE WELT: Sind Sie der Meinung, dass Scharon noch zu den Vereinbarungen von Oslo steht?

Fischer: Ich glaube, darauf kommt es jetzt nicht an. Wenn die Dinge in die richtige Richtung gehen, wird er selbstverständlich dazu stehen. Das ist keine politisch-juristische Frage, sondern es geht darum, welche Richtung die Entwicklung einschlägt.

DIE WELT: Sie werden in Israel als einer der wenigen ernst zu nehmenden Vermittler anerkannt. Gleichzeitig haben uns israelische Politiker gesagt, es nütze nicht viel, wenn einer mal alle zwei Monate vorbeischaut. Es heißt: "Wir bräuchten einen neuen Kissinger, der acht Wochen im ,King David Hotel' sitzt und nicht eher fährt, bis er mit beiden Parteien zu einer Vereinbarung kommt." Warum also setzen Sie sich nicht ins "King David"?

Fischer: Das ist keine Rolle für den deutschen Außenminister. Und da kommen wir zur Rolle der deutschen Außenpolitik an sich. Solange wir unser Gewicht im europäischen Rahmen zum Tragen bringen und dieses Gewicht für Europa einsetzen, so lange werden wir uns selbst, aber auch allen unseren Partnern Gutes tun. Sollten wir aber eigenständige nationale Politik betreiben, würden wir uns sehr schnell in den Schlingen alter, wiederkehrender Probleme verfangen, die sich aus unserer Lage und Geschichte ergeben. Davon kann ich nur abraten.

DIE WELT: Das schließt keine Zimmer im "King David" aus.

Fischer: Eine solche Rolle würde die deutsche Außenpolitik überfordern. Klar ist: Deutschland hat beginnend mit Adenauer eine Politik der Versöhnung mit Israel gesucht, auf der Grundlage der Verantwortung für den Völkermord am europäischen Judentum. Auf dieser Grundlage haben wir Beziehungen zu Israel aufgebaut, die Vertrauen geschaffen haben. Ich empfinde es als einen ganz großen Erfolg der deutschen Nachkriegsgeschichte - nach allem, was geschehen ist -, dass wir heute sagen können: Nach den USA sind wir für Israel der wichtigste und verlässlichste Partner. Und das hat unser Verhältnis zur arabisch-palästinensischen Seite überhaupt nicht eingeschränkt. Im Gegenteil. Die klügeren Palästinenser begreifen, dass wir nur auf der Grundlage der Eindeutigkeit unserer Position zu Israel für die legitimen Interessen der palästinensischen Seite wertvoll sein können. Das wollen wir im Rahmen der europäischen Anstrengungen tun, und das ist nicht wenig.

DIE WELT: Peres hat einen neuen Friedensplan ausgearbeitet. Wie bewerten Sie diese Initiative?

Fischer: Allein, dass darüber diskutiert wird, ist schon positiv. Wie weit das führt, werden wir sehen. Im Nahen Osten Politik zu betreiben heißt, man braucht Optimismus, Gottvertrauen und jede Menge Realismus.

DIE WELT: Was tut die deutsche Regierung konkret, wenn solche Nachrichten wie über den Antisemitismus in palästinensischen Schulbüchern laut werden?

Fischer: Die Schulbücher, die Sie meinen, sind alte Bücher, die nicht von der EU finanziert wurden. Was die Europäer unterstützen, wird sorgfältig geprüft. Wir achten darauf, wie die Schulbücher aussehen, gerade aus unseren eigenen positiven Erfahrungen heraus, etwa mit der deutsch-polnischen Schulbuchkommission. Wir haben da sehr gute Erfahrungen gemacht, die könnten auf diesem Gebiet sehr hilfreich sein. Die These, dass mit EU-Mitteln antisemitische und antiisraelische Schulbücher finanziert werden, lässt sich nach unseren Informationen nicht aufrechterhalten.

DIE WELT: Wie wird der Nahe Osten in fünf Jahren aussehen?

Fischer: Die einfachere, vielleicht realistischere Variante ist zu sagen: Wir werden einen Fortgang der Tragödien erleben, aber keine Lösung. Die andere Option - weniger wahrscheinlich, aber weitaus verheißungsvoller - ist, dass man auf der Grundlage des Mitchell-Berichts ein Ende der Gewalt und eine Rückkehr zu Verhandlungen erreicht. Das werden wir nur schaffen, wenn die internationale Gemeinschaft ambitioniert auf beide Seiten zugeht. Schließlich gibt es noch das echte Katastrophenszenario, das ich mir gar nicht ausmalen möchte. Dieses Szenario können wir uns alle nicht erlauben. Es zu verhindern liegt auch im europäischen Interesse. Der Nahe Osten ist unsere Nachbarregion. Wir wollen den Friedensprozess wieder zum Laufen bringen.

Das Gespräch führten Dietrich Alexander und Jacques Schuster

 

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