,,Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrte Frau Schröder, Herr Ministerpräsident
des Landes Brandenburg, Frau Stolpe, meine überlebenden Schwestern und Brüder unter uns,
meine Damen und Herren.Hier stehe ich heute kurz nach Jom Kippur -
dem heiligsten Tag für das jüdische Volk - auf deutschem Boden, an diesem Ort des
Schreckens, an dem Hunderttausende von Menschen unseres Volkes und anderer Völker brutal
vernichtet wurden.
Ich stehe nicht alleine, mit mir stehen die sechs Millionen Ermordeten
und der Ruf ,Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig' in ihrem Munde.
Sie sind es, die aus meinem Munde rufen.
Mit mir stehen auch Millionen Bürger des Staates Israel und Millionen
Söhne und Töchter des jüdischen Volkes - die zum großen Teil die Kinder und die
Kindeskinder der Ermordeten sind. Für all diese werde ich hier sprechen. Hier und auf
anderen Schlachtfeldern unter dem grauen Himmel Europas, dem Europa von Kant, Goethe und
Schiller von Mozart, Schubert und Beethoven, verübte Deutschland das größte Verbrechen
der Menschheitsgeschichte. Niemals zuvor wurde der wissenschaftliche und systematische
Versuch eines Völkermordes, gegen ein ganzes Volk gerichtet, durchgeführt.
Diese schreckliche Greueltat war nicht die Folge eines momentanen
Triebausbruches, sondern ein durchdachter und akribisch geplanter Schritt, durch den ein
Drittel der Töchter und Söhne des jüdischen Volkes ausgemerzt wurde. Shoa steht für
einen totalen Zusammenbruch der Weltordnung, ja der Fundamente der Erde, und für den
Verlust des Menschenbildes im Sinne des Ausspruchs ,Edler ist der Mensch als das Vieh! Sie
hat die Existenz von finsteren, antisemitischen Trieben bei Millionen Menschen aus
verschiedenen Nationen offenbart, und sie bildet den Höhepunkt eines langfristigen
historischen antisemitischen Prozesses, der mit dem Versuch begann, den Juden zu
diktieren, wie und wo sie zu leben haben, und mit der Feststellung endete, dass sie kein
Recht auf Leben hätten.
Wie war es möglich, dass das deutsche Volk hier im Herzen der
westlichen Kultur eine ,Todesindustrie' errichten konnte, deren einziger Zweck es war,
Menschen zu vernichten, die als Ebenbilder Gottes geboren worden waren, ohne dass die Erde
gebebt hat?
Wie war es möglich, dass anderthalb Millionen Kinder ermordet wurden
und die Völker der Erde nicht erschraken und nicht aufschrien?...
Zusammen mit mir stehen heute Überlebende dieses Lagers und mit ihnen
ihre Enkelkinder, die ihren Dienst in der israelischen Armee tun. Sie sind das lebendige
Zeugnis dafür, dass wir wie ein Phönix aus der Asche der Opfer auferstanden sind und
dass wir in ein neues Leben geboren wurden als ein freies Volk, stark und überzeugt von
seinem Weg, in seiner historischen Heimat.
Zwei zentrale Lehren lassen sich aus dem Schrecken der Shoa ziehen. Die
eine - dass man jedem Aufkommen von Antisemitismus und Rassismus den unerbittlichen Krieg
erklären muss.
Die zweite Lehre ist, dass wir nicht schwach sein dürfen, schutzlos
und ohnmächtig; nur ein sicherheitspolitisch, wirtschaftlich und moralisch starkes Israel
wird die Existenz unseres Volkes für alle Ewigkeit garantieren. Niemals werden wir ohne
Mittel dastehen, um unser Leben zu verteidigen, den Gnaden anderer Völker - so
großzügig sie auch sein mögen - ausgesetzt sein.
Hinter den Narben und den Tränen stehen heute ein Staat und ein Volk;
neben Kultur- und Geistesschätzen stehen sie auch für eine nie dagewesene Stärke. Wir
werden uns und jeden Juden - wo auch immer - verteidigen, wir schwören, dass es, solange
wir noch atmen können, kein Auschwitz mehr geben wird, keine Todesmärsche von Juden in
die Gaskammern und keine Todesgruben. 54 Jahre nach der Shoa, in Folge höchster
Bemühungen von visionsreichen Staatsmännern wie David Ben-Gurion und Konrad Adenauer
gelang es uns, ein Geflecht besonderer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu
etablieren, Beziehungen, die auf der Verpflichtung Deutschlands dem historischen Gedenken
und dem Staat Israel als Staat des jüdischen Volkes gegenüber begründet sind.
Mit uns steht hier unser Freund, der Bundeskanzler Herr Schröder
Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, die auf den Trümmern des Nazimonsters erwuchs,
und der wie viele Deutsche ebenfalls geschworen hat, niemals zu vergessen und alles
Menschenerdenkliche zu tun, damit dieses Grauen sich niemals wiederholen kann....
Und heute kamen wir aus Jerusalem, der ewigen Hauptstadt des jüdischen
Volkes, um Euch, unseren ermordeten Schwestern und Brüdern zu sagen, das wir all'
denjenigen, die nach unserem Leben trachteten, trotzten, denjenigen, die das jüdische
Volk ausmerzen wollten; und dass wir in dem Land lsrael eine Heimat und einen Staat für
das jüdische Volk errichtet haben, und dass die Prophezeiung Hesekiels über die
trockenen Knochen sich erfüllt hat -
"und Ich will meinen Odem in euch geben, dass ihr wieder leben sollt, und will euch
in euer Land setzen..."
Ich wünschte, ihr könntet uns sehen, die Überlebenden und die
Soldaten der israelischen Armee, hier in Sachsenhausen, dem Ort der Vernichtung bei
Berlin. Gerade hier verwandelte sich die Vorstellungskraft in Realität: Berlin, die
Stadt, von der der Fluch der ,Endlösung' ausging und die wieder die Hauptstadt des
vereinten, neuen, demokratischen Deutschlands wurde, in diese Stadt kommen wir ein halbes
Jahrhundert danach als die Gesandten des souveränen, starken und prosperierenden
jüdischen Staates.
Wie symbolträchtig ist es, dass gerade in Berlin die Worte des
Partisanenliedes in Erfüllung gehen:
"Und der Tag, nach dem wir uns sehnten, wird noch kommen, und
unser Schritt wird noch nachhallen - wir sind hier-
Das Volk Israel lebt!"