Wieso
endete ein Friedensprozess, der mit solch großen Hoffnungen
begonnen hatte, in einer Intifada? Was geschah wirklich in Camp
David? Der frühere israelische Außenminister Shlomo Ben-Ami
führte dort ein Tagebuch; in einer Unterhaltung mit Ari Shavit
enthüllt er zum ersten Mal, warum die stürmischen
Verhandlungen fehlschlugen.
Er
sagt, dass er nicht traurig ist, nur sehr beunruhigt. Beunruhigt
im wahrsten Sinn des Wortes. Innerhalb von vier oder fünf
Jahren wird es im Nahen Osten nukleare Waffen geben und es
stellt sich heraus, dass der Friedensprozess nicht das ist, was
wir dachten, dass er sei. Es stellt sich heraus, dass der
palästinensische Partner nicht das ist, was wir dachten, dass
er sei. Und die nationale Einheitsregierung ist gelähmt; sie
tut nichts, sie ist nicht fähig, etwas zu tun. Die Linke
weigert sich, sich für irgendeine Bestandsaufnahme zu
engagieren; die Rechte weigert sich, sich in Richtung
irgendeiner Art von Lösung zu bewegen. Und Yassir Arafat rast
mittlerweile innerhalb dieses Vakuums mit uns zurück in die
Mitte der 70er Jahre und Ariel Sharon in die 50er. Sogar hier in
Kfar Sava kann man nachts das Schießen hören. Jede Nacht kann
man beinahe die ganze Zeit das Schießen aus der Ferne hören.
Shlomo
Ben-Ami ist auch nicht besonders glücklich. In Jerusalem hat
gerade der frühere Polizeichef des Nördlichen Distrikts, Alik
Ron, seine Zeugenaussage gemacht, und zwar vor der
Untersuchungskommission, die die Reaktion der Polizei auf
Krawalle in arabischen Dörfern im letzten Oktober untersucht;
hierbei wurden 13 der Demonstranten erschossen. Dann zeigt das
Fernsehen Filmmaterial über die Vorwahlen der Arbeiterpartei,
an denen Ben-Ami sich nicht beteiligt hat. Selbst wenn das
Telefon klingelt und EU’s Javier Solana in der Leitung ist –er
wird in fließendem Spanisch über irgendeinen Gedanken
unterrichtet, der vielleicht irgendeinen Fortschritt bezüglich
eines Übereinkommens bringt- kann man nicht über das Gefühl
hinwegkommen, dass Shlomo Ben-Ami sehr stark mit seinen eigenen
Gedanken und Überlegungen beschäftigt ist. Und mit seiner
Bestandsaufnahme.
Mit
Hilfe eines schweren Stapels an Dokumenten, den er aus einem
anderen Raum holt, versucht er zu erklären, was hier
tatsächlich passiert ist. Was falsch gelaufen ist. Das T-Shirt,
das er trägt, ist aus Camp David, eine Art amerikanisches
Sommerlager-T-Shirt von einem Sommerlager, das nicht sehr
erfolgreich war.
Aber
Ben-Ami, der Ehud Baraks Repräsentant in den
Friedensverhandlungen war, versichert immer wieder, dass Camp
David nicht der springende Punkt war; dass jeder, der sich auf
Camp David beschränken möchte, keine Ahnung hätte. Diese zwei
Wochen in Maryland, die die Aufmerksamkeit der Welt fesselten,
sind nur ein Teil des Puzzles.
Ben-Amis
Charme ist nicht verblasst. Seitdem die große Anspannung der
politischen Macht etwas abgenommen hat, ist er locker; er
lächelt und hat einen fesselnden Sinn für Humor. Seine
Analysen sind tiefgehend und komplex. Seine Sinnzusammenhänge
sind mehrsprachig und multikulturell. Wenn er seine Lesebrille
auf seine Nasenspitze setzt und aus dem Tagebuch, das er in
diesen verhängnisvollen Tagen geschrieben hat, zu lesen
beginnt, scheint es, als wollte er versuchen zu verstehen.
Shlomo
Ben-Ami, welches waren die Thesen, die Sie und den
Premierminister, Ehud Barak, dazu geführt haben, sich im
Frühling 2000 auf den Weg zu machen, um den
israelisch-palästinensischen Konflikt zu beenden?
„Wir
hatten eine Anzahl von Arbeitsthesen, aber ich denke, die
wichtigste von ihnen war die Hauptthese, die von den
Amerikanern, den Europäern und der israelischen Mitte und
Linken seit Jahren geteilt wurde: dass Oslo eine vernünftige
Ordnung im Nahen Osten geschaffen hat, die auf Geben und Nehmen
basiert und die in der Zukunft zu einem akzeptablen Kompromiss
führen kann; dass 1993 gewissermaßen ein palästinensischer
Staat gegründet worden war, zumindest was geregelte
internationale Beziehungen betrifft. Im Rückblick hat sich dies
als falsche These erwiesen. Es stellte sich heraus, dass Oslo
für Palästinenserführer Yassir Arafat ein riesiges Tarnnetz
gewesen ist, das er gewoben hat und immer noch weiter webt; er
benutzt politischen Druck und Terrorismus in unterschiedlichen
Dosen um die eigentliche Idee von zwei Staaten für zwei
Nationen ins Wanken zu bringen.“
Lassen
Sie uns an den Anfang zurückgehen – zu Ihren ersten
Gesprächen mit Herrn Barak, bei denen er Ihnen die
Verantwortung für die Verhandlungen übertrug. An welche Art
von territorialem Kompromiss hatten Sie damals gedacht?
„Bei
einem unserer ersten Treffen zeigte Barak mir eine Landkarte,
die den Jordangraben zeigte und die eine Art überarbeiteter
Allon-Plan war (formuliert in den 70er Jahren von Yigal Allon,
basierend auf einem territorialen Kompromiss). Er war auf die
Tatsache stolz, dass seine Landkarte Israel etwa ein Drittel der
Territorien lassen würde. Wenn ich mich richtig erinnere, gab
er den Palästinensern nur 66 % des Landes. Ehud war überzeugt,
dass die Landkarte äußerst logisch sei. Er hatte eine Art von
gönnerhaftem Wunschdenken, eine naive Einstellung. Er sagte
enthusiastisch: ‚Schau, dies ist ein Staat, es sieht in jeder
Hinsicht wie ein Staat aus.‘“
„Zu
diesem Zeitpunkt diskutierte ich nicht mit ihm. Ich sagte ihm
nicht, er solle die Landkarte in den Müll werfen oder einen
Drachen daraus bauen. Aber später, infolge der vorrückenden
Gespräche mit den Palästinensern und internen Klärungen,
verstand er, dass es unmöglich war, solch eine Karte in der
Öffentlichkeit zu präsentieren.“
Mit
welchen Voraussetzungen gingen Sie dann in die Verhandlungen?
Welches war die offizielle israelische Position, die Sie und
Gilad Sher den Palästinensern in Stockholm im Mai 2000
präsentierten?
„In
Stockholm brachten wir eine Landkarte mit einem
Territorienverhältnis von 12 zu 88 auf den Tisch. Wir forderten
drei Siedlungsblöcke (Etzion, Ariel und das Gebiet von
Jerusalem) und eine Sicherheitszone im Jordangraben über einen
Zeitraum von 20 Jahren. Gemäß der Landkarte, die wir
präsentierten, würde der Jordan selbst unter israelischer
Souveränität bleiben, um dem Waffenschmuggel vorzubeugen und
um jeder Verletzung der Vereinbarungen zur Entmilitarisierung
zuvorzukommen. In Stockholm lehnten wir auch den Gedanken eines
Gebietsaustausches ab. Unser Konzept bestand darin, dass die
Westbank und der Gazastreifen der Boxring waren, in dem alle
Probleme gelöst werden mussten.“
Wie
reagierten die Palästinenser darauf?
„Sie
wollten sich die Landkarten nicht ansehen. Abu Ala hatte zu mir
gesagt: „Shlomo, nimm die Karte weg.‘ Und in privaten
Gesprächen hatte er mich bedrängt: ‚Welchen Prozentsatz
meinst du wirklich?‘ Und doch hatten wir im Gästehaus des
Premierministers von Schweden, wo man diesen wunderbaren Blick
hatte, und das am Ufer eines Sees lag, der zu schön ist, um ihn
zu beschreiben, die besten Gespräche überhaupt. Die Umgebung
war ruhig, die Atmosphäre war gut, die gegenseitige Annäherung
war pragmatisch. Wir konnten einen schriftlichen Rahmen für
eine Vereinbarung entwickeln und wir haben es sogar geschafft,
Experten für internationales Recht für den korrekten
juristischen Aufbau der Vereinbarung zu konsultieren. Unsere
Einschätzung war, dass wir wirklich auf dem Weg zu einem
israelisch-palästinensischen Friedensabkommen waren.“
Welche
Abkommen haben Sie dort erreicht?
„Das
Wort ‚Abkommen‘ ist zu bindend. Nichts wurde beschlossen.
Aber es gab Verständnis für das Bedürfnis der
Siedlungsblöcke und es gab Verständnis, dass die
Palästinenser in Bezug auf die Sicherheit flexibel sein
würden. Bezüglich des Themas ‚Flüchtlinge‘ entwickelten
wir ein vollständiges Konzept, das auf einer Lösung von
arabischen Gastgeberstaaten, dem palästinensischen Staat,
Ländern wie Kanada und Australien und der
Familienzusammenführung in Israel basierte. In Stockholm
sprachen wir über zehn- bis fünfzehntausend Flüchtlinge, die
in Israel in einer Periode von einigen Jahren aufgenommen werden
würden.“
„Abu
Ala und Hasan Asfour akzeptierten diese Zahlen nicht, aber sie
zeigten Bereitschaft, in erforderliche Gespräche einzusteigen
und über Zahlen zu diskutieren. Was das Thema der Territorien
anging, so hatten wir auch hier das Gefühl, dass wir uns auf
halbem Wege treffen würden. In einem Gespräch, das wir nach
Stockholm im Hotel Holiday Inn in Jerusalem hatten, stimmte Abu
Ala eindeutig 4 % Land zu, das in Händen Israels bleiben
sollten. Wir hatten also das Gefühl, dass ein Abkommen in
greifbarer Nähe war.“
Und
Jerusalem?
„Über
Jerusalem wurde überhaupt nicht diskutiert. Barak wollte das
nicht. Ich denke, dass dies ein Fehler war. Wenn wir über
Jerusalem diskutiert hätten, wären wir besser vorbereitet nach
Camp David gekommen. Aber Barak hatte Angst vor undichten
Stellen und auch davor, dass die eigentliche Diskussion über
Jerusalem die Regierung destabilisieren und die
Regierungskoalition in Gefahr bringen würde. Deshalb blieb der
Jerusalem-Paragraf in den Entwürfen ein weißes Blatt Papier.
Sogar das regte Barak auf. Man kann auf den Dokumenten, die wir
im Mai ausgearbeitet haben, einen Kommentar in seiner
Handschrift sehen: Barak zog es vor, dass nicht einmal die
Überschrift des Jerusalem-Paragrafen gedruckt erschien.“
Welche
Richtung nahm der Prozess nach den Gesprächen in Stockholm und
vor Camp David? Wenn ich Sie im Juni oder Juli 2000 gefragt
hätte, worin man würde übereinstimmen können, was hätten
Sie gesagt?
„Offiziell
entfernten wir uns nicht von der 12/88er Landkarte in Stockholm
und auch nicht vom Prinzip, dass es keinen Gebietsaustausch
geben würde. Aber in Gesprächen unter vier Augen sprach ich
über 8 bis 10 %, die unter israelischer Kontrolle bleiben
würden. Wie ich Ihnen sagte, sprach Abu Ala über 4 %. Soviel
ich weiß, erhielt der amerikanische Präsident Bill Clinton vor
Camp David von den Palästinensern ein Versprechen über 2 %
Land, das in den Händen der Israelis bleiben sollte. Also kann
man annehmen, dass wir über 90 % gegangen wären und die
Palästinenser über 4 % und dass wir uns irgendwo in der Mitte
getroffen hätten. Was das Thema ‚Territorien‘ angeht, so
hätte Clinton sagen können, dass die beiden Seiten zwar nicht
in der Quantität übereinstimmen, aber im Prinzip.“
„Was
in den Gesprächen, die unmittelbar nach Stockholm stattfanden,
klar wurde, war, dass die Palästinenser eine gewisse
Flexibilität bezüglich der Siedlungsblöcke zeigen würden.
Aber bezüglich der Ostgrenze und dem Jordangraben waren sie
unnachgiebig. Sie forderten eine Lösung für die Jordangrenze
und zu diesem Zeitpunkt waren wir nicht gewillt, ihnen dafür
eine Garantie zu geben.“
Und
was war mit Jerusalem und den Flüchtlingen?
„Es
gab überhaupt keine detaillierten Gespräche über Jerusalem.
Das einzige war ein Versprechen, das Arafat uns während eines
Gesprächs in Nablus gab und das lautete, dass die Klagemauer
und das Jüdische Viertel uns gehören sollten. Er sprach lang
über seine Erinnerungen, wie er selbst in den 30er Jahren mit
jüdischen Kindern in der Nähe der Klagemauer gespielt hatte.
Er weiß, dass die Mauer uns gehört. Einige der anderen
Palästinenser erwähnten einige Male Gilo und zwar auf eine Art
und Weise, die darauf schließen ließ, dass sie die jüdische
Nachbarschaft im Ostteil Jerusalems akzeptierten.“
„Aber
bezüglich der Frage der Flüchtlinge gab es so etwas wie eine
rückläufige Entwicklung in der Zeit zwischen Stockholm und
Camp David. Abu Mazen überzeugte Abu Ala davon, in keine
Diskussion über Zahlen zu verfallen, sondern am Prinzip „Recht
auf Rückkehr“ festzuhalten. Nach unseren Treffen brachte Abu
Ala das gemeinsame palästinensisch-israelische Dokument von Abu
Ala und Yossi Beilin und zeigte mir, wie viele Vorbehalte Abu
Mazen bezüglich dieses Dokuments hatte, ganz besonders im Blick
auf die Flüchtlinge.“
„Übrigens,
nicht nur Abu Mazen hatte Vorbehalte bezüglich dieses
Dokuments, sondern auch Arafat. Als ich Arafat in einem
Gespräch, das wir einige Monate später in Gaza abhielten,
danach fragte, wiederholte er verächtlich: „Worte, Worte.““
Welches
waren die Startpositionen der Israelis während des Treffens in
Camp David Mitte Juli? Welches war die offizielle israelische
Position bei diesem Friedensgipfel?
„Die
Landkarte, die ich in Camp David in Gegenwart von Präsident
Clinton dem palästinensischen Team zum sorgfältigen Studium
auf den Tisch legte, war die 12/88er Landkarte. Zwischen
Stockholm (Mai 2000) und Taba (Januar 2001) präsentierten wir
den Palästinensern offiziell keine andere Karte. Wir stimmten
nicht zu, unseren offiziellen Standpunkt zu ändern, bevor auf
ihrer Seite keine Bewegung zu erkennen war. Und weil es diese
Bewegung auf ihrer Seite nicht gab, präsentierten wir auch
keine neuen Landkarten.“
„Aber
inoffiziell war es klar, dass wir für die 8 bis 10 % bereit
waren. Wir wehrten uns noch gegen einen Gebietsaustausch. Und
wir forderten noch, dass Jerusalem ungeteilt unter unserer
Herrschaft blieb.“
„Die
Palästinenser dagegen bestanden darauf, dass die Gespräche mit
einer Anerkennung der 1967er Grenzen durch Israel begann. Sie
waren in diesem Punkt sehr unnachgiebig. Ich werde nie eine
Diskussion vergessen, die wir in Gegenwart von Präsident
Clinton, Außenministerin Madeleine Albright und Sandy Berger
(Berater in Fragen der nationalen Sicherheit) hatten. Ich schlug
vor, dass wir die Diskussion auf der Basis der Hypothese der
1967er Grenzen beginnen, ohne uns jedoch an diese Hypothese zu
binden. Abu Ala weigerte sich vehement, auf diese Annahme
einzugehen. Er bestand darauf, dass wir zu allererst die Grenzen
vom 4. Juni 1967 (vor dem Sechstagekrieg) anerkennen sollten.“
„Nach
einer Weile war Clinton am Überkochen und begann fürchterlich
zu schreien. Er sagte zu Abu Ala, dass dies hier keine Rede vor
den Vereinten Nationen sei und dass die Palästinenser ihre
eigenen positiven Vorschläge auf den Tisch bringen sollten.
Clinton schrie, dass niemand alles von dem bekommen könnte, was
er wollte und dass auch er gern eine dritte Amtszeit als
Präsident regieren würde, aber er wüsste, dass dies nun mal
unmöglich sei. Er wurde total rot, stand schließlich auf und
stolzierte hinaus. Abu Ala war zutiefst beleidigt. Von diesem
Moment an war das Herumfahren auf dem Golfrasen beinahe das
einzige, was er noch in Camp David tat.“
Machten
die Palästinenser keinen Gegenvorschlag?
„Nein,
und das ist der Kern der Angelegenheit. Es gab in den
Verhandlungen zwischen uns und den Palästinensern keinen
einzigen palästinensischen Gegenvorschlag. Es gab keinen und es
wird niemals einen geben. Deshalb befindet sich der israelische
Unterhändler immer in einem Dilemma: Entweder stehe ich auf und
gehe hinaus, weil diese Jungs nicht bereit sind, von sich selbst
aus weiterführende Vorschläge zu machen oder ich mache ein
weiteres Zugeständnis. Am Ende macht auch der moderateste
Unterhändler die Erfahrung, dass es kein Ende dieses Ablaufes
gibt.“
Gab
es jemals einen Moment, an dem es schien, dass die Dinge sich
änderten? An dem es schien, dass in Camp David eine Art
Durchbruch erreicht werden könnte?
„Als
das Gefühl vorhanden war, dass wir auf der Stelle treten,
organisierte der Präsident ein Simulationsspiel, das eine ganze
Nacht lang dauerte, bis zum Mittag des nächsten Tages. Der
Schlüssel des Spiels war, dass die Führer nicht daran
teilnahmen. Die Teilnehmer waren Gilad Sher, Yisrael Hasson und
ich gegen Saeb Erekat, Mohammed Dahlan und einen
palästinensischen Juristen aus Oxford.“
„In
diesem Spiel brachten wir zum ersten Mal einen Vorschlag über
Jerusalem ein. Der Vorschlag lautete, dass die äußere Hülle
der arabischen Nachbarschaft der Stadt unter palästinensischer
Hoheit sein sollte, die innere Hülle sollte unter einer
funktionsfähigen Autonomie sein, die Altstadt unter einer
speziellen Regierungsform und der Tempelberg unter dauernder
palästinensischer Treuhänderschaft. Clinton war mit unserem
Vorschlag sehr zufrieden. Ehud dachte auch, dass wir einen
mutigen Schritt getan hatten –das war noch bevor er seine
eigenen mutigen Entscheidungen getroffen hatte- und es war eine
Art von Durchbruch, der den Prozess aus seiner Sackgasse holte.“
Wie
war die palästinensische Reaktion?
„Enttäuschend.
Der Jurist aus Oxford sagte, dass sie eine Entschädigung für
all die Jahre der Besatzung fordern würden. Saeb Erekat sprach
in Gegenwart von Clinton auf gleicher Ebene. Ich konnte mich
nicht beherrschen und explodierte. Ich sagte ihnen, dass sich
die Unterhändler der zionistischen Bewegung am Vorabend der
Gründung des jüdischen Staates nicht so nonchalant benommen
hätten wie sie das nun tun würden. Ich fragte sie, welche von
beiden Seiten hier eigentlich einen Staat gründen wolle – wir
oder sie. Ich war total frustriert, weil wir solch einen
kreativen und flexiblen Schritt nach vorne gegangen waren und
einen der besten Augenblicke dieser Verhandlungen erreicht
hatten und sie konnten sich nicht von ihrer Stichelei, von ihrem
Bedürfnis nach Rechtfertigung und von ihrer Opferrolle trennen.“
„Doch
die Dinge bewegten sich noch positiv vorwärts. Clinton ging zu
Arafat und führte ein hartes Gespräch mit ihm. Als Arafat die
schwierige Lage spürte und merkte, dass er vor einem Abgrund
stand, machte er schließlich eine Art von Gegenvorschlag. Er
teilte Clinton mit, dass er bereit sei, auf 8 bis 10 % der
Territorien zu verzichten.“
Sie
sagen, dass Yassir Arafat in einem Gespräch mit Clinton am 16.
Juli 2000 zustimmte, Israel etwa ein Zehntel der West Bank zu
geben?
„Ich
zitiere Ihnen, was ich am 17. Juli in mein Tagebuch geschrieben
habe: ‚Gestern machte Arafat Clinton einen Gegenvorschlag
aufgrund des Szenarios der vorangegangenen Nacht. Er ist bereit,
zwischen 8 und 10 % des Territoriums herzugeben. Er sagte
Clinton: Ich überlasse Ihnen die Angelegenheit des Tausches der
Territorien. Sie entscheiden. Er ist mit
Sicherheitsvorkehrungen, die getroffen werden, einverstanden. Er
legt Wert auf eine internationale Macht. Wir werden auch eine
Lösung für das Flüchtlingsproblem finden. Alles steht oder
fällt nun mit Jerusalem. Arafat will eine Lösung, mit der er
leben kann.“
Ist
dies der Ursprung für die Camp-David-Formel hinsichtlich eines
territorialen Austausches: 9 % der Territorien für 1 %
souveränes israelisches Gebiet?
„Diese
Formulierung nahm in keinem bindenden Dokument feste Formen an.
Aber vom Beginn der zweiten Woche in Camp David hing sie in der
Luft. Es war die Annahme, mit der wir gearbeitet haben. Und sie
basierte auf dem, was Arafat gesagt hatte. Nicht auf irgendeinem
Plan Israels, sondern auf eindeutigen Äußerungen Arafats. Ich
erinnere mich daran, dass ich am 17. in Ehuds Hütte gehen
wollte und dabei mit Clinton zusammenstieß, der gerade aus der
Hütte kam, und er sagte mir das gleiche: Arafats Botschaft
lautet: Bereit für 8 % und einen Gebietsaustausch im
Gazastreifen.“
„Clinton
sagte in anderen Gesprächen, die an diesem Tag stattfanden, ‚dass
die Israelis einen Rahmen für einen Präzedenzfall geschaffen
hätten und dass es eine wirkliche und wesentliche Bewegung
wäre, wenn man hier 80 % von den Siedlern und ein vereintes
Jerusalem unter israelischer Souveränität bekomme‘. Sein
Eindruck war, dass die Puzzleteile sich langsam zu einem Ganzen
zusammen fügten. Aber einige Zeit später machte Arafat einen
Rückzieher. Er übermittelte Clinton eine Notiz, in der er
diesen Rückzieher machte.“
Ist
es nicht möglich, dass Arafat die israelische Seite auf
brillante Art und Weise dorthin manövrierte, das große Tabu
bezüglich Jerusalem zu brechen, indem er den falschen Eindruck
erweckte, dass alles einfach zu lösen sein würde und ein
Abkommen unterzeichnet werden könnte, wenn man nur Konzessionen
zu Jerusalem machen würde?
„Ich
weiß es nicht. Ich wäre nicht überrascht, wenn er sich in
diesem Moment einfach aus der Notlage, in der er sich befand,
befreien wollte. Denn wir hatten Flexibilität gezeigt und die
Amerikaner übten Druck auf ihn aus. Deshalb sagte er ein paar
Worte zu Clinton, die für ihn kein großartiges Geschäft
waren. Sie wissen, dass er auch ein paar Worte sagte, als er mit
uns nach Sharm al-Sheikh ging und versprach, das Schießen zu
beenden. Aber hat er es tatsächlich beendet?“
Und
doch wurde die Camp-David-Konferenz infolge dieser Dynamik die
Jerusalem-Konferenz. Ist es nicht Tatsache, dass Sie kein
bindendes Abkommen bezüglich der Territorien erreicht und keine
Lösung für die Flüchtlingsfrage formuliert haben, sondern nur
Jerusalem geteilt haben?
„Das
ist nicht ganz exakt. Es ist wahr, dass es bezüglich der Frage
der Flüchtlinge eine rückläufige Entwicklung gab, dafür
hatte man jedoch das Gefühl, dass im Bereich der Territorien
Flexibilität gezeigt wurde – dass der Friede nicht mit diesem
Thema stehen oder fallen würde. Und im Sicherheitsteam gab es
äußerst positive Diskussionen, die den Prozess voran brachten.
Das Konzept einer multinationalen Macht wurde
herauskristallisiert. Ich akzeptiere übrigens nicht die
Behauptung, dass wir die Stadt Jerusalem in Camp David teilten.
Die Entscheidung zur Teilung Jerusalems kam erst fünf Monate
später mit der Akzeptanz von Clintons Eckpunkten.“
„Sie
müssen eines verstehen: in Camp David bewegten wir uns in
Richtung einer praktischen Teilung, jedoch mit dem Bestreben,
eine Vereinbarung zu bekommen, die nicht wie eine Teilung
aussieht. Das große Problem war, dass die Palästinenser uns
nicht dabei helfen wollten. Sie waren nicht bereit, irgendeine
Formulierung zu benutzen, die Israel helfen würde, sein Gesicht
zu wahren. Nicht bezüglich des Tempelberges, nicht bezüglich
der Souveränität, in nichts. Arafat stimmte in Camp David
nichts zu, das nicht eine komplette Teilung war. Deshalb sagte
mir an einem Punkt des Stadiums selbst Bob Malley, den momentan
jeder gerne zitiert, dass die Palästinenser uns einfach nur
demütigen wollten. ‚Sie wollen euch demütigen‘, waren
seine Worte.“ (Hier wird Bezug genommen auf einen Artikel von
Hussein Agha und Robert Malley –ein Mitglied des
US-Friedensteams und außerordentlicher Mitarbeiter von
Präsident Clinton- „Camp David: The Tragedy of Errors“ The
New York Review of Books, 9. August 2001)
Ich
verstehe, dass es ein Stadium gab, an dem Barak jedermann damit
in Erstaunen versetzte, dass er der Teilung der Altstadt von
Jerusalem in zwei Teile unter israelischer Souveränität und in
zwei Teile unter palästinensischer Souveränität zustimmte.
Tat er das von sich selbst aus oder war es eine gemeinsame
Entscheidung mit dem israelischen Team?
„Wie
ich Ihnen sagte schlug ich vor, dass ein spezielles Regime in
der Altstadt eingesetzt werden sollte. Infolge dieser Diskussion
brachte der Präsident etwas später den Zwei-Zwei-Vorschlag
ein, der eine klare Teilung der Souveränität bedeutete. Ehud
stimmte in einem Gespräch mit dem Präsidenten zu, dass dies
eine Basis für eine Diskussion sein könnte. Ich erinnere mich,
dass ich an diesem Abend mit Martin Indyk vom Außenministerium
spazieren ging und beide sagten wir, Ehud sei verrückt. Wir
verstanden nicht, wie er überhaupt daran hatte denken können,
dem zuzustimmen. Danach schrieb ich in mein Tagebuch, dass jeder
denken würde, Amnon Lipkin-Shahak und ich würden Barak nach
links drängen, aber die Wahrheit sei, dass er derjenige wäre,
der uns nach links drängen würde. Zu diesem Zeitpunkt –es
war der Beginn der zweiten Woche unseres Treffens- war er weit
mutiger als wir es waren. Wirklich mutig. Clinton sagte mir ein
paarmal: Ich habe niemals solch eine mutige Person kennengelernt.“
Und
wohin führte das alles dann?
„Die
Palästinenser akzeptierten den Vorschlag des Präsidenten zu
Jerusalem nicht, und deshalb zog Ehud seine Zustimmung auch
zurück. Zu diesem Zeitpunkt sandte er einen ärgerlichen Brief
an Clinton, in dem er sich beklagte, dass der Präsident nicht
genügend Druck auf Arafat ausüben würde. Einige Zeit später
probierte es Clinton noch einmal. Ich habe eine Notiz in seiner
Handschrift. Er fragte mich, ob ich bereit sei, Baraks Akzeptanz
dieses Prinzips noch einmal vorzubringen. Ich antwortete
negativ. Dieser Vorschlag ist nicht mehr auf der Agenda, sagte
ich.“
„Das
Ergebnis war eine tiefe Krise, die beinahe noch vor Clintons
Reise nach Japan zum Kollaps der Konferenz führte. Barak begann
das Gefühl zu haben, dass er keinen Partner hatte. Dass er
weiter als irgendein anderer israelischer Premierminister ginge,
dass er seinen politischen Kopf dabei riskiere und den Verlust
seiner Regierung und trotzdem wollte sich Arafat nicht von der
Stelle bewegen. Arafat weigerte sich, am Spiel teilzunehmen.“
„Es
war schwer für Ehud. Sehr schwer. Nachdem wir uns entschlossen
hatten trotz allem zu bleiben und nachdem Clinton zu seiner
Reise aufgebrochen war, isolierte sich Barak für zwei Tage in
seiner Hütte. Niemand von uns sah ihn in diesen zwei Tagen. Er
war in einer tiefen Krise.“
Auf
welches Thema konzentrierte man sich in den letzten paar Tagen,
nachdem Clinton von seiner Reise zurückgekehrt war und die
Konferenz wieder aufgenommen wurde?
„Was
gegen Ende der Konferenz auf dem Tisch lag war schließlich der
Vorschlag des Präsidenten, dass die äußere Hülle unter
palästinensischer Souveränität und der Tempelberg unter
israelischer Souveränität, jedoch unter palästinensischer
Treuhänderschaft sein sollte. Abgesehen davon gab es zwei
Varianten: funktionsfähige Autonomie in der engsten
Nachbarschaft und zwei Viertel der Altstadt unter
palästinensischer Souveränität, oder palästinensische
Souveränität in der engsten Nachbarschaft und funktionsfähige
Autonomie in der Altstadt. Es gab auch noch eine dritte
Möglichkeit, nämlich die Diskussion über Jerusalem auf drei
Jahre zu verschieben.“
„Es
war der letzte Abend. Es war spät. Ich erinnere mich, dass Ehud
mich beiseite nahm, bevor ich mich auf den Weg zu Clintons
Hütte machte, und zu mir sagte, dass dies ein historischer
Moment sei. Immer wieder sagte er, dies sei ein historischer
Moment. Clinton hatte Jeans an und einen leichten Pullover. Er
saß eine Weile mit Erekat und mir am Holztisch, bevor er mich
schließlich fragte, ob wir bereit seien, seinen Vorschlag zu
akzeptieren. Ich sagte, dass ich zur Abwechslung mal nicht als
erster antworten wollte. Nachdem Barak eine positive Antwort zum
Zwei-Zwei-Vorschlag gemacht hatte und die Palästinenser diesem
Thema aus dem Weg gegangen waren, wollten wir uns nicht noch
einmal in die gleiche Situation bringen.“
„Der
Präsident dachte, dass dies fair sei und setzte mich nicht
unter Druck, aber er sandte Erekat zu Arafat. Er teilte ihm
ausdrücklich mit, dass der Vorsitzende einen Gegenvorschlag
präsentieren müsste, sollte er seinen nicht akzeptieren. Er
versprach, dass er bleiben und die Konferenz weitergehen würde,
sollte ein Gegenvorschlag kommen.“
„Ich
war der einzige Israeli im Raum. Ich hatte kein gutes Gefühl.
Clinton war zu dieser Zeit ziemlich pessimistisch. Eine Stunde
später kam Erekat zurück und sagte Nein. Ich glaube, er
brachte auch ein Schriftstück mit. Ich verließ den
Präsidenten und ging zu Ehud zurück. Das war’s, sagte ich
ihm, es ist vorbei.“
Also
kollabierte Camp David wegen der palästinensischen Ablehnung
eines amerikanischen Vorschlages zu Jerusalem, den Sie sowieso
unangemessen fanden?
„Nein.
Camp David kollabierte wegen der Tatsache, dass sie sich
weigerten, sich am Spiel zu beteiligen. Sie weigerten sich,
einen Gegenvorschlag zu machen. Niemand forderte, dass sie eine
positive Antwort auf diesen speziellen Vorschlag von Clinton
geben sollten. Und entgegen all dem Unsinn, der von den Rittern
der Linken geäußert wird, gab es kein Ultimatum. Was von den
Palästinensern verlangt wurde, war wesentlich einfacher: dass
sie wenigstens einmal einen Gegenvorschlag einbringen sollten.
Dass sie nicht dauernd sagen: ‚Das ist nicht gut genug‘ und
dabei auf uns warten, dass wir mehr Zugeständnisse machen.
Deshalb sandte der Präsident an diesem Abend CIA-Direktor
George Tenet zu Arafat, um ihm zu sagen, dass es sich lohnen
würde, noch einmal darüber nachzudenken und mit der Antwort
bis zum Morgen zu warten. Aber Arafat konnte sich nicht mehr
dazu entschließen. Er vermisste den Applaus der Massen in Gaza.“
„Am
nächsten Morgen um 9.00 Uhr trafen sich Arafat, Barak und
Clinton noch einmal. Wir standen draußen und beteten, dass bei
diesem Treffen irgendetwas irgendwie herauskommen würde: dass
Arafat begreifen würde, dass es wirklich die elfte Stunde
geschlagen hat und dass er deshalb die Sache noch einmal
aufnehmen würde. Aber sie kamen bereits fünf Minuten später
wieder heraus. Es war vorbei.“
Die
vorherrschende Ansicht ist, dass Camp David wegen der falschen
Verhandlungstaktiken ein Misserfolg war, und wegen des Benehmens
von Ehud Barak, der Arafat gedemütigt und ihm keinen Respekt
erwiesen hatte.
„Ich
denke, dass Fehler gemacht wurden. Die Methode der Verhandlungen
war falsch – anstelle von Diskussionen in Teams, die dann ihre
Ergebnisse der Zustimmung ihrer Führer vorlegten, hätte es
einen Gipfel der Führer geben sollen und diese hätten dann den
Teams sagen sollen, welche Übereinkommen diese formulieren
sollten. Es gab auch verpasste Gelegenheiten. Als der Durchbruch
hinsichtlich Jerusalem stattfand und als Arafat sein
Zugeständnis gemacht hatte, wäre das richtige gewesen, die
Führer zu einer Art Schock-Gipfel zusammen kommen zu lassen.“
„Aber
letzten Endes schlug Camp David fehl, weil Arafat versäumte,
eigene Vorschläge auf den Tisch zu bringen und weil er uns
nicht erfolgreich vermitteln konnte, dass seine Forderungen an
irgendeinem Punkt aufhören würden. Eines der wichtigsten
Dinge, die wir in Camp David taten, war, dass wir unsere
wesentlichen Interessen in der prägnantesten Form definierten.
Wir erwarteten nicht, dass wir die Palästinenser auf halbem Weg
treffen würden, nicht einmal auf Zweidritteln des Weges. Aber
wir erwarteten, sie an irgendeinem Punkt zu treffen. Die ganze
Zeit warteten wir hinsichtlich unseres weiten Entgegenkommens,
dass auch sie irgendeine Art von Bewegung machen würden. Aber
sie taten es nicht. Wir hatten das Gefühl, dass sie ständig
versuchten, uns in eine Art von schwarzes Loch mit mehr und mehr
Zugeständnissen zu ziehen; dabei war es nicht klar, wohin all
diese Zugeständnisse führen würden, welches die Ziellinie
war.“
Warum
schlugen Sie nicht irgendeine Art von Teilabkommen vor? Als klar
wurde, dass es unmöglich war, das grundsätzliche Problem zu
lösen, warum versuchten Sie nicht, wenigstens ein
Interimsabkommen zu erreichen?
„Wir
schlugen den Palästinensern zu mehreren Zeitpunkten vor, ein
Teilabkommen abzuschließen – ohne Jerusalem und ohne die
Flüchtlinge. Diese Möglichkeit erwogen wir auch am letzten
Abend. Die Palästinenser lehnten dies ab. Einerseits waren sie
nicht bereit, bezüglich der Kernpunkte einen Kompromiss zu
schließen, und sicherlich nicht bezüglich Jerusalem, aber
andererseits stimmten sie auch nicht dem Zustandekommen eines
Teilabkommens zu. Die diesbezüglichen Behauptungen über Barak
sind totaler Unsinn. Ich erinnere mich an einen gewissen Moment,
in dem ich Arafat vorschlug, dass wir die Diskussion über
Jerusalem auf zwei Jahre hinausschieben. ‚Nicht einmal auf
zwei Stunden‘, sagte er und winkte dabei mit zwei Fingern.“
Aber
was ist mit der Person Baraks, mit seinem Benehmen? War er nicht
zu hart in seiner Haltung gegenüber Arafat?
„Sehen
Sie, Ehud ist kein umgänglicher Mensch. Es ist schwer, ihn zu
mögen. Er ist verschlossen und introvertiert und es gibt keinen
emotionalen Kontakt zu ihm. Wir alle haben das erfahren. Aber
denkt wirklich irgend jemand, dass Arafat das Recht auf
Rückkehr aufgegeben hätte, wenn Ehud Barak netter zu ihm
gewesen wäre? Oder hätte er auf den Haram al-Sharif (den
Tempelberg) verzichtet? Tatsache ist, dass sich Barak während
des Essens, das Nava (Baraks Frau) und er in ihrem Haus in
Kochav Ya’ir etwa zwei Monate nach Camp David für Arafat
gegeben haben, außergewöhnlich warm gegenüber dem
Vorsitzenden zeigte, auf eine Art und Weise, die seiner
Persönlichkeit eigentlich nicht entspricht. Ich erinnere mich,
dass ich damals zu meiner Frau Ruthie sagte, dass Barak sich so
sehr ein Abkommen wünscht, dass er sogar bereit ist, seine
Persönlichkeit zu ändern. Drei Tage später begann die
Intifada.“
Trotzdem,
erzählen Sie mir über die Beziehung zwischen den beiden in
Camp David.
„Eigentlich
trafen sie sich überhaupt nicht. Jedenfalls nicht richtig. Es
gab ein Essen, das Madeleine Albright gab, um das Eis zu
brechen. Dabei saß Barak wie eine Salzsäule da und sagte über
Stunden hinweg kein Wort. Das war sehr peinlich. Das war an
einem der Tiefpunkte, als Clinton in Japan und Barak absolut
ärgerlich auf Arafat war. Er konnte die Situation nicht
ertragen, dass er alles riskierte und von dieser Person
abhängig war, von der sich herausstellte, dass sie kein Partner
war. Ich erinnere mich, dass wir in der Nähe einer defekten
Wanduhr standen und Barak sagte, wenn ein Abkommen mit dieser
Person zustande käme, würde er die Wanduhr reparieren.“
„Aber
hier geht es noch etwas tiefer. Barak ist, wie Sie wissen, ein
kartesianischer, ein rationaler Mensch. Was also zwischen den
Hütten und dem Rasen von Maryland passierte, war eine
Auseinandersetzung zwischen Barak, einer Person, die nach einer
rationalen Ordnung strebte, und Arafat, einer Person, die über
Mythen sprach und Mythen verkörperte. Diese Auseinandersetzung
funktionierte nicht. Im Rückblick verstehe ich, dass sie
niemals funktioniert hätte. Ich glaube inzwischen, dass kein
einziger rational denkender israelischer Regierungschef Erfolg
darin gehabt hätte, bei solch einer Auseinandersetzung ein
Abkommen mit Arafat zustande zu bringen. Arafat ist einfach
nicht dafür geschaffen.“
Warum?
„Arafat
ist kein irdischer Führer. Er betrachtet sich selbst als
mythologische Figur. Er hat sich selbst immer als eine Art
moderner Saladin repräsentiert. Deshalb interessiert ihn selbst
der konkrete Grundbesitz nicht besonders. In Camp David war es
klar, dass er nicht nach einer praktischen Lösung strebte,
sondern sich auf mythologische Themen konzentrierte: das
Rückkehrrecht, Jerusalem, den Tempelberg. Er schwebte auf den
Wolken des islamischen Ethos und des Flüchtlingsethos und des
palästinensischen Ethos.“
„Arafats
Rede ist sowieso nie von praktischer Art. Seine Sätze stehen in
keinem Zusammenhang und sind nicht vollständig. Es gibt Worte,
es gibt Sätze, es gibt Metaphern – es gibt keine klare
Position. Das einzige, was es gibt, sind Codes und sonst nichts.
Am Ende des Prozesses stellt man plötzlich fest, dass man sich
bei den Verhandlungen nicht vorwärts bewegt, weil man
tatsächlich mit einem Mythos verhandelt.“
Aber
es gibt Verhandlungen, die erfolgreich waren, oder nicht?
„Das
waren Verhandlungen über Zwischenabkommen. Ein Führer dieser
Art kann seine Assistenten über Abweichungen von 10 bis 20 %
entscheiden lassen, denn er nimmt an, dass er das, was er heute
nicht bekommen kann, morgen dann doch bekommt. In diesem Bereich
ist er zu einem Kompromiss fähig. Aber wenn man zum Ende des
Spieles kommt, befindet er sich in einer schwierigen Lage, denn
den Prozess abzuschließen heißt für ihn zu sagen: ‚Ich habe
aufgehört ein Mythos zu sein; nun bin ich nur noch der Führer
eines kleinen Staates.‘ Er ist eine Art von ewiger
Globetrotter, der einfach Angst hat, der Realität ins Gesicht
zu blicken. Deshalb rennt er immer davon, wenn er Entscheidungen
treffen soll. In der Geschichte kenne ich keinen vergleichbaren
Fall wie den von Arafat, der dieses schlimme Verhalten an den
Tag legt, dass er vor Entscheidungen flieht.“
Aber
sogar nach Camp David haben Sie nicht das Handtuch geworfen: die
Kontakte hielten im August und September 2000 an, oder nicht?
„Natürlich.
Dutzende von Treffen wurden in diesen beiden Monaten abgehalten,
eine Menge davon im Hotel King David in Jerusalem. Es gab
zweigleisige Bemühungen: unsere Gespräche mit den
Palästinensern und Gespräche zwischen den Palästinensern und
uns, bei denen die Amerikaner anwesend waren. In dieser ganzen
Zeit warteten wir sehr darauf, dass die Amerikaner ein Paket
ausarbeiten würden, das beiden Seiten präsentiert werden
konnte. In dieser Zeit übte ich selbst Druck auf die Amerikaner
aus, das kollektive Andenken an Camp David in einem Dokument zu
verarbeiten: all die Resümees des Präsidenten, die dort
aufgezeichnet worden waren, zusammenzufassen und daraus einen
umfassenden Vorschlag zu bilden.“
„Die
Palästinenser hatten jedoch vor solcherlei Vorschlägen große
Angst. Sie wussten, dass sie nicht Ja dazu sagen würden und sie
wussten, dass sie das Neinsagen international enorm schädigen
würde. Sie befanden sich in einer äußerst schlechten Lage.
Europa unterstützte uns, die arabische Welt unterstützte sie
nicht – sie waren beinahe isoliert. Am Vorabend der Intifada
war ihre Situation beinahe verzweifelt.“
Nehmen
Sie an, dass die Intifada ein kalkulierter Schritt der
Palästinenser war, um sich aus der politischen und
diplomatischen Bedrängnis zu befreien?
„Nein,
ich schreibe ihnen nicht diese Art von machiavellistischem,
skrupellosem Schema zu. Aber ich erinnere mich, dass Saeb Erekat
in Camp David sagte, dass wir bis zum 13. September Zeit haben.
Und ich erinnere mich an einen Besuch bei Mohammed Dahlan. Von
seinem Büro aus sprach ich mit Marwan Barghouti und er sagte
auch, dass es nicht gut wäre, wenn wir bis Mitte September kein
Abkommen erzielt hätten. In seiner Stimme lag eine bedrohliche
Art, die ich nicht mochte. Wenn man also den Verlauf der
Ereignisse betrachtet und sieht, dass die Gewalt exakt zwei
Wochen nach dem 13. September ausbrach (dieser Tag war der
siebte Geburtstag des Oslo-Abkommens), dann macht einen das
nachdenklich. Eine Sache ist sicher: durch die Intifada wurde
Arafat auf jeden Fall gerettet.“
Gab
es bei den Gesprächen im August und September irgendwelche
Änderungen in der israelischen Position?
„Ja.
In dieser Phase sprachen wir über die Teilung der vertikalen
Souveränität über den Tempelberg. Der Tempelberg war nicht
unter israelischer Souveränität und palästinensischer
Treuhänderschaft, er war komplett unter palästinensischer
Souveränität. Wir fragten nur nach Souveränität über die
Tiefen des Tempelberges. Wir forderten, dass anerkannt werden
sollte, dass uns dieser Platz heilig ist, dass wir eng mit ihm
verbunden sind. Aber die Palästinenser spotteten diesbezüglich
schon immer über unsere Forderung. Sie leugneten, dass wir
irgendeine Art von Recht auf den Tempelberg haben.“
Gab
es auch eine Änderung im Bereich der Territorien?
„Im
September sprachen wir über 7 % der Westbank, die Israel
behalten würde, für 2 % an souveränem israelischem Gebiet,
das an die Palästinenser transferiert werden sollte. Ich
glaube, wir ließen auch in der Forderung nach Souveränität
über den Jordangraben nach.“
Wann
geschah das? Wann wurde die Entscheidung getroffen, die
Souveränität im Jordangraben aufzugeben?
„Ich
kann Ihnen nicht exakt sagen, wann das war. Aber infolge der
Resümees von Camp David über die Themen Sicherheit und
multinationale Macht war unser Gefühl, dass wir bei Lösungen
angekommen waren, die unsere notwendigsten Sicherheitsinteressen
sogar ohne Souveränität wahren würden. Es war uns klar, dass
die Palästinenser mit unserer Forderung nach Souveränität im
Jordangraben nicht leben konnten.“
Haben
Sie neue Landkarten gezeichnet?
„Wie
ich Ihnen sagte, wurden den Palästinensern in Taba keine neuen
Karten vorgelegt. Aber wir arbeiteten an neuen internen
Landkarten, die die neuen Prozentzahlen zeigen würden. Und als
die lächerliche Behauptung geäußert wurde, dass wir den
Palästinensern eine Art Kantone vorgeschlagen und dass sie
keine territoriale Kontiguität hätten, ging ich zu Ägyptens
Präsident Hosni Mubarak und zeigte ihm eine Landkarte. Wie ich
mich erinnere, war es noch die 8 %-Karte, eine Karte von 8 zu
92. Mubarak sah sie sich interessiert an und fragte laut, warum
die Palästinenser behaupten würden, sie hätten keine
Kontiguität.“
Präsentierten
die Palästinenser während dieser ganzen Zeit keine eigenen
Karten? Gab es keinen geographischen Vorschlag von
palästinensischer Seite?
„Sie
präsentierten überhaupt keine Landkarten. Nicht vor Taba. Aber
in Camp David hatte ich die Möglichkeit, eine Art von
palästinensischer Landkarte zu sehen. Es war eine Karte, die
ein Zugeständnis von weniger als 2 % auf ihrer Seite zeigte,
und zwar für einen territorialen Austausch im Verhältnis von 1
zu 1. Aber die Territorien, die sie von uns wollten, waren nicht
in den Halutza-Dünen, sie wollten Gebiete nahe der Westbank.
Ich erinnere mich, dass gemäß ihrer Karte zum Beispiel Kochav
Ya’ir im Gebiet des palästinensischen Staates liegen sollte;
sie beanspruchten Souveränität über Kochav Ya’ir.“
Im
November bzw. Dezember wurden die Gespräche wieder aufgenommen.
Die Gewalt wütete und die Wahlen für den israelischen
Premierminister standen bevor. Machten die Palästinenser auf
irgendeinem Gebiet Fortschritte?
„Hauptsächlich
in der Frage zu Jerusalem. In dieser Phase hatten wir der
Teilung der Stadt und der vollen palästinensischen
Souveränität über Haram al-Sharif zugestimmt. Aber wir
bestanden darauf, dass eine Art von enger Verbundenheit
unsererseits zum Tempelberg anerkannt werden sollte. Ich
erinnere mich an ein Gespräch mit Yasser Abed Rabbo am Bolling
Air Force Stützpunkt. Ich legte folgenden Gedanken dar, ohne
zuvor jemanden um Rat gefragt zu haben: die Palästinenser
würden die Souveränität über den Tempelberg haben aber sie
würden dort keine Ausgrabungen vornehmen, weil dieser Ort den
Juden heilig ist. Die Palästinenser stimmten zu, keine
Ausgrabungen vorzunehmen, aber unter keinerlei Umständen
wollten sie unserer minimalen Aussage ‚weil dieser Ort für
die Juden heilig ist‘ zustimmen.“
„Was
mich bei dieser Gelegenheit besonders zornig machte, war nicht
nur die Tatsache, dass sie verweigerten, sondern die Art und
Weise, wie sie das taten: heraus aus einer Art von totaler
Verachtung, heraus aus einer abweisenden und arroganten Haltung.
In diesem Moment begriff ich, dass sie wirklich nicht wie der
ehemalige ägyptische Präsident Anwar Sadat sind, der 1979
einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnete. Dass sie nicht
gewillt waren, sich in Richtung unserer Position zu bewegen,
nicht einmal auf emotionaler und symbolischer Ebene. Am
Tiefpunkt angelangt, sind sie nicht bereit anzuerkennen, dass
wir hier irgendeine Art von Rechtsanspruch haben.“
Drei
Tage später, am 23. Dezember 2000, gegen Ende der
Bolling-Gespräche, ließ Clinton Sie noch einmal zusammenkommen
und präsentierte Ihnen die genauen Eckpunkte. Wie sahen diese
aus?
„97
%: 96 % der Westbank an die Palästinenser plus 1 % an
souveränem israelischem Gebiet, oder 94 % der Westbank plus 3 %
an souveränem israelischem Gebiet. Wie auch immer, weil Clinton
in seine Formulierung auch das Konzept der sicheren
Durchgangsstraße –deren israelische Souveränität gering
wäre- einbrachte, könnte argumentiert werden, dass die
Palästinenser beinahe 100 % bekamen. Clinton hatte seinen
Vorschlag so konstruiert, dass die Palästinenser bei einer
positiven Antwort fähig wären, ihrem Volk die Lösung als eine
100 %-Lösung zu präsentieren.“
Und
Jerusalem?
„Wie
die Berichte sagten: was jüdisch ist, ist israelisch und was
arabisch ist, ist palästinensisch. Der Tempelberg sollte unter
voller palästinensischer Souveränität liegen und Israel
sollte die Klagemauer und das Allerheiligste bekommen. Aber
Clinton nahm in seinem Vorschlag keinen Bezug auf das ‚heilige
Becken‘ – das gesamte Gebiet außerhalb der Altstadtmauer,
das die Davidstadt, die Gräber der Propheten und die Straße
zum Ölberg einschließt. Wir forderten dieses Gebiet, in dem
kaum Araber leben, für uns, aber die Palästinenser
verweigerten. Am Abend gab es zu diesem Thema ein hartes
Telefongespräch zwischen Barak und Clinton, weil wir Angst
hatten, er würde sich gegen uns entscheiden. Das Ergebnis
dieses Gespräches war, dass dieses Thema offen bleiben sollte.
Clinton bezog sich nicht darauf.“
Was
ist mit den Flüchtlingen?
„Hier
probierte Clinton die Quadratur des Kreises. Er ging bis zum
äußersten Ende dessen, was wir akzeptieren konnten, auf die
Palästinenser zu. Seine Formulierung lautete, dass ‚die
beiden Seiten das Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr ins
historische Palästina anerkennen‘ oder ‚auf Rückkehr in
ihr Heimatland‘. Aber er machte auch klar, dass ‚es kein
spezifisches Recht auf Rückkehr nach Israel gibt‘. Wir waren
zufrieden, dass er über eine Zwei-Staaten-Lösung sprach und
darüber, dass der palästinensische Staat die Heimat des
palästinensischen Volkes sei und Israel die Heimat des
jüdischen Volkes.“
„Der
Mechanismus, auf den er sich bezog, war mehr oder weniger
derjenige von Stockholm. Er erlegte eine gewisse Aufnahme von
Flüchtlingen in Israel auf, jedoch gemäß Israels souveränen
Gesetzen und seiner Aufnahmepolitik.“
Was
ist mit den Sicherheitsvorkehrungen und der Entmilitarisierung?
„Wir
legten großen Wert darauf, dass der palästinensische Staat
entmilitarisiert sein sollte. Der Präsident schlug eine
schwächere Formulierung vor: ein ‚nicht-militarisisierter
Staat‘. Er beanspruchte außerdem, dass wir für drei Jahre
eine bedeutende militärische Präsenz im Jordangraben und eine
symbolische Präsenz an festgelegten Orten für weitere drei
Jahre haben sollten. Es wurden uns drei Stationen für
Frühwarnsysteme über einen Zeitraum von 10 Jahren zugestanden,
auf denen palästinensische Verbindungsoffiziere anwesend sein
sollten.“
Gab
es ein ausdrückliches Verbot, dass die Palästinenser Panzer,
Kriegsflugzeuge und Raketen nicht benutzen durften?
„Nein,
soweit ich weiß, sind wir nicht bis zu diesen Details gekommen.
Sie wurden bestimmt nicht von Clinton erwähnt. Aber dies war
die Absicht.“
Und
was wurde über die Luft- und Wasserrechte gesagt?
„Die
Palästinenser weigerten sich, in eine Diskussion zum Thema ‚Wasser‘
einzusteigen, deshalb nahm Clinton keinerlei Bezug auf dieses
Thema. Auf der anderen Seite lautete die Formulierung bezüglich
des Luftraumes ‚Vereinbarte Nutzung‘. Clinton erklärte,
dass die Souveränität über den Luftraum in palästinensischer
Hand liegen würde, aber er erkannte Israels Recht an, diesen
Luftraum für Trainingszwecke und für notwendige Einsätze zu
benutzen, vorausgesetzt, solch einer Nutzung würde zugestimmt
werden. Ein Gedanke war, dass die Möglichkeit, den Luftraum zu
nutzen, auf wechselseitiger Basis beruhte: den Palästinensern
sollte das Recht gegeben werden, den israelischen Luftraum auf
nicht-militärische Art und Weise zu nutzen.“
Wie
reagierte Israel auf Clintons Eckpunkte? Akzeptierte Barak sie
voll und ganz?
„Der
Präsident diktierte uns und den Palästinensern die Punkte in
einem Konferenzraum, der an das Ovale Büro im Weißen Haus
angrenzt. Es war ein Samstag. Clinton erklärte, dass die
Eckpunkte kein amerikanischer Vorschlag seien, sondern dass sie
sein Verständnis eines Mittelweges zwischen den Positionen, die
beide Seiten erreicht haben, darstellten. Nun hinge alles von
der Entscheidung der Führer ab, sagte er, und bat darum, dass
die Entscheidung innerhalb von vier Tagen gefällt werde.“
„Es
war für uns schwer, diesen Vorschlag zu akzeptieren. Niemand
kam tanzend und singend aus dem Raum und besonders Ehud war
beunruhigt. Drei Tage später entschied sich das Kabinett für
eine positive Antwort an Clinton. Alle Minister befürworteten
diese Antwort, mit Ausnahme von Matan Vilnai und Ra’anan
Cohen. Ich informierte die Amerikaner darüber, dass Israels
Antwort Ja lautete.“
Und
die Palästinenser?
„Arafat
befand sich in keinerlei Eile. Er ging zu Mubarak und schlurfte
dann zu allen Arten von zwischen-arabischen Treffen. Er
erwiderte nicht einmal Clintons Anrufe. Die ganze Welt, und ich
meine die ganze Welt, übte enormen Druck auf ihn aus, aber er
weigerte sich, Ja zu sagen. In diesen zehn Tagen gab es kaum
einen internationalen Führer, der ihn nicht angerufen hätte -
angefangen vom Fürsten von Liechtenstein bis hin zum
Präsidenten von China. Aber Arafat ließ sich nicht von der
Stelle bewegen. Er blieb seiner Ausweich-Methode treu.
Schließlich, sehr spät, teilte sein Mitarbeiterstab dem
Weißen Haus eine Antwort mit, die große Neins und kleine Jas
enthielt. Bruce Reidell vom Nationalen Sicherheitsrat sagte mir,
dass wir es nicht falsch verstehen sollten, dass es keine
Missverständnisse auf unserer Seite geben sollte: Arafat sagte
tatsächlich Nein.“
Aber
hatten die Israelis nicht auch Vorbehalte?
„Ja.
Wir sandten den Amerikanern ein Dokument, das aus mehreren
Seiten bestand und unsere Vorbehalte enthielt. Aber so weit ich
mich erinnere, waren diese wesentlich kleiner und handelten
hauptsächlich von Sicherheitsvorkehrungen und Einsatzgebieten
und Kontrollen für die Durchreise. Es gab auch eine
Klarstellung bezüglich unserer Souveränität über den
Tempelberg. Es gab jedenfalls keinen Zweifel daran, dass unsere
Antwort positiv war. Um jegliche Zweifel beiseite zu räumen
rief ich Arafat am 29. Dezember auf Ehuds Anweisungen an und
sagte ihm, dass Israel die Eckpunkte akzeptieren würde und dass
jede weitere Diskussion nur im Rahmen dieser Eckpunkte und ihrer
Umsetzung stattfinden sollte.“
Hatte
es im Lichte all dessen noch einen Sinn, das Treffen in Taba
abzuhalten? Nach allem sind Sie den ganzen Weg bis an die rote
Linie gegangen und die Palästinenser sagten, dass es nicht
genug sei. Was gab es noch, über das man sprechen konnte?
„Die
Wahrheit ist, dass Ehud genau so dachte. Er wollte nicht nach
Taba gehen. Er sah keinen Sinn und Zweck darin. Aber in dieser
Phase hatte er die Pistole auf der Brust. Die Wahlen sollten in
einem Monat stattfinden und es gab einen Minister, der ihm
sagte, wenn er nicht nach Taba ginge, würden sie ihn in der
Öffentlichkeit anprangern, dass er seiner Pflicht, Frieden zu
machen, aus dem Weg gegangen sei. Er hatte keine andere Wahl,
als zu einem Treffen zu gehen, bei dem Dinge besprochen werden
sollten, an die er selbst nicht mehr glaubte.“
Worüber
haben Sie also in Taba gesprochen? Welcher Fortschritt wurde
dort gemacht?
„Wir
bestanden darauf, dass Clintons Eckpunkte für die Verhandlungen
nicht für erneute Diskussionen, auf welchem Gebiet auch immer,
offen gelegt werden sollten, sondern dass wir uns nur um die
Frage kümmern würden, wie diese Eckpunkte umzusetzen seien.
Die Palästinenser versuchten jedoch, die Eckpunkte zu
reduzieren. Sie versuchten, noch etwas mehr aus uns
herauszupressen. Bezüglich der Jerusalem-Frage akzeptierten sie
nicht den Gedanken des Allerheiligsten, der ausdrücklich in
Clintons Vorschlägen erschien. Und bezüglich des
Flüchtlingsthemas brachten sie eine Formulierung vor, die
bedeutete, dass sie ihre eigene Lesart der Resolution 194 der
UN-Generalversammlung vom 11. Dezember 1948 hatten. Die Israelis
hatten eine andere Lesart. Sie sagten, ‚wir müssen das Recht
auf Rückkehr einführen und dann über den Mechanismus
diskutieren‘. Diese Grundsatzforderung machte mich nicht
weniger wütend als die gelegentliche Nennung von
Flüchtlingszahlen.“
Welche
Zahlen nannten sie?
„Sehen
Sie. Ich saß ihnen in Taba während der Verhandlungen über das
Flüchtlingsthema nicht gegenüber. Aber die verschiedenen
Informationsschreiben, die in Taba ausgeteilt wurden, sprachen
von außergewöhnlichen Zahlen. Was sagen Sie zu 150000
Flüchtlingen in einem Jahr, und zwar über einen Zeitraum von
10 Jahren hinweg?“
Und
was schlugen wir vor?
„Yossi
Beilin sagte, er hätte 40000 vorgeschlagen. Ich weiß nicht, ob
es wirklich diese Zahl war, aber mit dieser Zahl war es
offensichtlich, dass kein Handel abgeschlossen werden konnte, es
sei denn, der Rest würde für zukünftige zusätzliche
Forderungen übrig bleiben.“
Welche
neue Karte zeigten Sie den Palästinensern in Taba?
„Hier
ist sie. Sie können sie selbst sehen. Die senfbraune Farbe
stellt das Gebiet der Palästinenser dar, die weiße das der
Israelis. Die Karte zeigt ein Verhältnis von 94,5 % des Landes
für die Palästinenser zu 5,5 %. Und das ist natürlich vor dem
Gebietsaustausch.“
Haben
Sie über den Austausch der Territorien ein Abkommen erreicht?
„Nein,
es stellte sich heraus, dass die Palästinenser den Gedanken
bezüglich der Halutza-Dünen nicht mochten. Ich bin übrigens
auch nicht verrückt danach. Ich betrachte dieses Gebiet als
eine letzte Reserve für zionistischen Siedlungsbau innerhalb
der Grünen Linie. Deshalb prüften wir die Möglichkeit eines
Landtransfers in der südlichen Berg-Hebron-Region, im Gebiet
nördlich von Arad. Aber dies war sehr schwierig – hier ein
halbes Prozent, dort ein viertel. Ich bin nicht sicher, ob die
ganze Idee eines Gebietstausches zu realisieren ist. Es könnte
sein, dass die einzige Möglichkeit diejenige ist, dass man die
Grenze zu Ägypten nach Osten verlegt und den Palästinensern
dann ägyptisches Gebiet gibt, das an den Gazastreifen angrenzt.
Aber weder wir noch die Palästinenser wollten diese Idee mit
den Ägyptern besprechen.“
Stimmt
es, dass Israel gemäß der neuen Karte etwa hundert Siedlungen
entwurzeln müsste?
„Ich
weiß die exakte Zahl nicht. Aber wir sprachen über die
Entwurzelung von vielen Dutzenden Siedlungen. Nach meiner
Ansicht schlug die Karte auch darin fehl, unser eigenes Ziel,
dem Clinton zugestimmt hatte, zu erreichen – 80 % der Siedler
in souveränem israelischen Gebiet.“
Akzeptierten
die Palästinenser diese Karte?
„Nein.
Sie präsentierten eine andere, die die drei sowieso schon
zusammengeschrumpften Siedlungsblöcke völlig zerfallen ließ,
und effektiv betrachtet erklärten sie das ganze Block-Konzept
als null und nichtig. Gemäß ihrer Landkarte wären nur ein
paar isolierte Siedlungen übrig geblieben und diese wären von
dünnen Fäden an schmalen Zugangsstraßen abhängig. Wir
stellten eine Kalkulation auf und diese zeigte, dass alles, was
sie uns geben wollten, 2,34 % waren.“
Sie
sagen, dass in dieser ganzen Zeit zwischen Juni und Januar, in
dieser Zeit, in der Sie bezüglich des Jordangrabens nachgaben
und die Idee des Gebietsaustausches akzeptierten und Jerusalem
teilten und den Tempelberg übergaben – in dieser Zeit bestand
das gesamte Entgegenkommen der Palästinenser aus einem
Bruchteil von einem Prozentpunkt? Also, alles, was sie dem
Versprechen von 2 %, das sie Clinton zu Beginn gegeben hatten,
hinzufügten, waren 0,34 %?
„Es
ist schwer für mich, mit Ihnen zu diskutieren. Aber das ist
genau das, warum mich die Kritik, die wir von den Linken
bekamen, vor einem gähnenden Loch stehen ließ. Ich verstand es
einfach nicht. Es ist wahr, dass sowohl Barak wie ich eine Art
‚Außenseiter‘ der Linken sind. Keiner von uns ist ein
gelernter ‚Friedensmacher‘. Aber sehen Sie, wie weit wir
gekommen sind. Sagen Sie mir, was wir noch hätten machen
sollen.“
Shlomo
Ben-Ami, Sie und Ehud Barak machten sich auf eine Reise auf ins
Innere der Erde, zum eigentlichen Mittelpunkt des Konflikts. Was
haben Sie dort gefunden?
„Ich
denke, wir fanden einige schwierige Dinge. Zuallererst
bezüglich Arafat. Wir entdeckten, dass er nicht die Fähigkeit
besitzt, den israelischen Ansprechpartnern zu vermitteln, dass
das Machen von Zugeständnissen ein Ende hat. Seine Strategie
ist diejenige des Konflikts.“
Heißt
das, dass er kein Partner ist?
„Arafat
ist der Führer der Palästinenser. Ich kann diese Tatsache
nicht ändern; es ist ihr Desaster. Er ist seiner Wahrheit so
verbunden, dass er sie nicht gefährden kann. Aber seine
Wahrheit ist die Wahrheit des islamischen Ethos, des Ethos der
Flüchtlinge und der Opferrolle. Diese Wahrheit erlaubt ihm
nicht, die Verhandlungen mit Israel zu beenden, bevor nicht
Israels Genick gebrochen ist. Unter diesem besonderen Aspekt ist
Arafat kein Partner. Schlimmer noch, Arafat ist eine
strategische Bedrohung; er gefährdet den Frieden im Nahen Osten
und in der ganzen Welt.“
Erkennt
er also noch immer nicht Israels Existenzrecht an?
„Arafats
Zugeständnis gegenüber Israel, das er in Oslo gegeben hat, war
ein formales Zugeständnis. Moralisch und konzeptionell erkennt
er Israels Existenzrecht nicht an. Er akzeptiert die Idee von
zwei Staaten für zwei Völker nicht. Er mag fähig sein, eine
Art von partieller, temporärer Übereinstimmung mit uns zu
treffen –obwohl ich auch daran Zweifel hege- aber im tiefsten
Grund akzeptiert er uns nicht. Weder er noch die
palästinensische Nationalbewegung akzeptieren uns.“
Ihre
Kritik geht über Arafat persönlich hinaus und schließt auch
die palästinensische Nationalbewegung als ganzes ein?
„Ja.
Intellektuell betrachtet kann ich ihre Logik verstehen. Ich
verstehe, dass sie –unter ihrem Gesichtspunkt betrachtet- in
Oslo 78 % des historischen Palästina abgetreten haben, also
gehört der Rest ihnen. Ich verstehe, dass dieser Prozess –unter
ihrem Gesichtspunkt betrachtet- ein Prozess der Dekolonisierung
ist und deshalb wollen sie keine Kompromisse mit uns schließen,
so wie auch die Bürger des Kongo keinen Kompromiss mit Belgien
schließen würden.“
„Aber
nach allem bin ich nach achtmonatiger Verhandlung zu dem Schluss
gekommen, dass wir uns in einer Konfrontation mit einer
nationalen Bewegung befinden, die ernsthafte pathologische
Elemente besitzt. Sie ist eine sehr traurige Bewegung, eine sehr
tragische Bewegung, die in ihrem Kern keine Möglichkeit hat,
sich selbst positive Ziele zu setzen.“
„Am
Ende des Prozesses ist es unmöglich, nicht den Eindruck zu
formulieren, dass die Palästinenser eben keine Lösung möchten
und dass sie Israel auf der Anklagebank haben wollen. Je mehr
sie einen eigenen Staat möchten, desto mehr prangern sie
unseren Staat an. In ihrer tiefsten Bedeutung ist ihre
Grundhaltung eine negative.“
„Das
ist der Grund, weshalb sie im Gegensatz zum Zionismus nicht
fähig sind, Kompromisse einzugehen: Sie haben nämlich keine
Vorstellung von der Gesellschaft, die sie für die Zukunft
anstreben und für die es sich lohnt, Kompromisse zu schließen.
Deshalb ist der Prozess für sie nicht von Versöhnung geprägt,
sondern von Rache und von dem Bestreben, ein Unrecht zu
beseitigen und unserer Existenz als jüdischen Staat ein Ende zu
setzen.“
„Sind
Sie während der Gespräche zu dieser Schlussfolgerung gelangt?“
„Ich
glaube, das war eine Anhäufung vieler Faktoren. Es gab mehrere
Vorkommnisse, aus denen ich geschlossen habe, dass die
Palästinenser die losen Fäden nicht zusammenschnüren wollen.
Dies erfolgte nicht auf Grund eines böswilligen Gesamtplans,
sondern um die Möglichkeit offen zu lassen, dass jemand in
Zukunft das Ende
dieser Fäden aufnimmt und versucht, dem jüdischen Staat die
Lebensader durchzutrennen.“
„Ich
kann mich an drei solche Momente erinnern. Der erste war bei
einem Gespräch mit Abu Mazen in Camp David. Jossi Ginosar und
ich gingen in der Nacht zu ihm. Wir saßen auf seinem Bett und
er sprach in einem angenehmen und sanften Ton über die
Flüchtlingsfrage. Je länger er jedoch sprach, desto mehr
verstand ich, dass es nicht möglich ist, sich mit ihm über
eine Schlussformulierung oder eine endgültige Zahl zu einigen.
Man konnte von ihm keine klare Vorstellung darüber gewinnen, wo
das Ganze enden würde.“
„Einige
Monate später fand ein Gespräch mit Arafat
in Gaza statt, bei dem ich ihm erklärte, warum die
israelische Gesellschaft in ihrer Ablehnung des Rechtes auf
Rückkehr vereint sei. Ich erwartete von ihm, dass er etwas zu
unserer Beruhigung und Erleichterung sagen würde, doch er zog
lediglich diesen bekannten Zeitungsausschnitt aus der Tasche, in
dem stand, dass 50% der Einwanderer aus Russland überhaupt
keine Juden seien. Er versuchte nicht einmal, uns gegenüber
irgendwelche Lippenbekenntnisse zu machen.“
„Doch
am schwersten war Arafats Reaktion auf Clintons Eckpunkte. Hier
waren wir wirklich an die Grenzen unserer Möglichkeiten
gestoßen und dies mit einer Regierung ohne parlamentarische
Mehrheit und ausreichende öffentliche Unterstützung, mit der
Intifada im Hintergrund und einer ablehnenden Haltung von Seiten
der Armeeführung. In dieser Situation lag die einzige Chance
darin, dass ein palästinensischer Führer mit einer Vision
lautstark „ja“ sagt und nicht stottert oder murmelt. Hätte
Arafat Ende Dezember ein klangvolles „Ja“ gesprochen, hätte
er die Regierung Barak und den Frieden gerettet.“
„Er
hat Euch ertrinken sehen und keinen Finger gerührt?“
„Er
hat gesehen, wie wir ertrinken, der Frieden untergeht und die
Zeit ausläuft. In diesem Augenblick habe ich verstanden, dass
für ihn die Verhandlungen dann beendet sind, wenn Israel am
Boden liegt.“
„Das
heißt, der kritische Test fand nicht in Camp David, sondern im
Zusammenhang mit den Eckpunkten von Clinton statt?“
„Natürlich.
Bis zu diesem Zeitpunkt konnte man behaupten, dass wir nicht
genug gegeben hätten. Doch nachdem die Clinton-Eckpunkte
vorlagen und während der Verhandlungen in Taba waren es schon
100% des Gebietes. Und nur jemandem, der blind und taub ist,
konnte entgehen, dass Barak dabei war, die Wahlen zu verlieren.
Nur wer blind und taub ist, konnte nicht verstehen, dass wir an
einem Abgrund standen. Und trotz alledem haben sie sich nicht
bewegt. Auch in Taba haben sie sich nicht bewegt. Auf dem
Verhandlungstisch lag ein traumhafter Vorschlag, die
Palästinenser hatten es jedoch nicht eilig.
Ich
kann mich erinnern, dass ich in Taba auf sie blickte und in
ihren Gesichtern keinerlei tragische Regung erkennen konnte. Ich
bemerkte in ihren Augen keinen Ausdruck des Schmerzes wegen
einer verpassten Gelegenheit. Für mich war das schlimm. Und
dieser Eindruck hat sich bei mir eingeprägt. Das hat letzten
Endes dazu geführt, dass ich meine Haltung revidiert und eine
neue Beurteilung der Lage vorgenommen habe.“
„Haben
Sie eine ideologische Wende vollzogen? Sind Sie infolge des
Scheiterns der Friedensverhandlungen zu rechten
Schlussfolgerungen gelangt?“
„Auf
gar keinen Fall. Ich glaube immer noch, dass wir nicht über ein
fremdes Volk herrschen können. Das hat nirgendwo funktioniert
und wird auch hier nicht funktionieren. Ich habe auch
hinsichtlich der Siedlungen meine Meinung nicht geändert. Es
war eine Unverschämtheit, nationale Energien in perspektivlose
Siedlungsaktivitäten im Herzen einer arabischen Bevölkerung zu
investieren. Auch heute glaube ich, dass die Gründung eines
palästinensischen Staates eine moralische und politische
Notwendigkeit ist. Doch heute weiß ich, dass wir einen
Paradigmenwechsel vornehmen müssen. In einer gewissen Hinsicht
muss man von Neuem beginnen, die Linke aufzubauen. Wir sollten
nicht ignorieren, was sich uns offenbart hat: Die
palästinensischen und islamischen Positionen stellen unser
Existenzrecht in Frage. Und wir sollten mit dieser Kultur, die
uns dauernd zu immer mehr Zugeständnissen zwingt und in den
Selbstmord zu treiben droht, nicht fortfahren. Wir sollten
vielmehr an dem Punkt inne halten, den wir mit Clinton erreicht
haben, und versuchen, diese Lösung mit Hilfe der
internationalen Gemeinschaft umzusetzen. Und wir sollten nicht
weiter auf den jüdischen und israelischen Patriotismus
verzichten und verstehen, dass die Schuld nicht immer bei uns
liegt. Wir sollten sagen, das war’s, bis hierher und nicht
weiter. Wenn die andere Seite auch diese essentielle Komponente
unserer Existenz vernichten will, werde ich erst recht darauf
bestehen.“