Die ab 1870 in das damalige
Palästina einwandernden Juden wurden als Phantasten und Schwärmer bezeichnet. Es klang
wie ein Märchen, daß es je wieder einen Staat Israel geben würde. Ganz Europa stand auf
der Höhe seiner Macht. An der Spitze der Weltmächte stand Großbritannien, das mit
seinen Schiffen die Weltmeere beherrschte und viele Überseekolonien hatte. Dann folgte
»La Grande Nation«, die große Nation Frankreich, die ebenfalls viele Kolonien
beherrschte. Dann kamen die europäischen Mittelmächte Österreich und Deutschland.
Niemand konnte damals einen Juden ernst nehmen, der nach Palästina einwanderte, um das
verwüstete Land wieder aufzubauen und in naher Zukunft einen Staat Israel zu gründen.
Außerdem stand Palästina noch unter der politischen Knute der Türken, die seit 1517 das
Land in einer unbeschreiblichen Mißwirtschaft und Korruption zugrunde gerichtet hatten.
Da wurde im Dezember 1894 ganz Europa von dem Prozeß gegen den
französischen Hauptmann Alfred Dreyfus erschüttert, der blutsmäßig Jude war. Als er am
22. Dezember 1894 verurteilt und am 5. Januar 1895 aus der Armee ausgestoßen wurde,
schrien die anderen französischen Offiziere mit der gaffenden Zuschauermenge: »Tod den
Juden! Judas verrecke!« Die seit 1791 bürgerlich gleichgestellten Juden in Frankreich
erschraken, mit ihnen alle Juden Europas. Der aus Österreich stammende Journalist Theodor
Herzl war Augen- und Ohrenzeuge bei diesem Prozeß in Paris und erschauderte bis in die
Tiefe seines Herzens. Er war selbst assimilierter Jude und erkannte damals sofort: So wie
sie den jüdisch-französischen Hauptmann Alfred Dreyfus verurteilen, so werden die
Völker Europas einst alle Juden verfolgen und umbringen. Die Wellen des Antisemitismus
schlugen hoch, der Judenhaß trat offen zutage. Bis 1906 kämpfte die Familie von
Hauptmann Dreyfus mit seinen Freunden, daß der völlig unschuldige Mann endlich
rehabilitiert wurde.
Unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre arbeitete Theodor Herzl Tag und
Nacht an der Idee, daß die Juden wieder einen eigenen Staat in den Grenzen ihrer
biblischen Heimat Israel haben müßten, um sich dort als Ackerbauern und Handwerker zu
betätigen und sich auch mit der Waffe in der Hand gegen die antisemitischen Feinde
verteidigen zu können. Im Jahre 1896 veröffentlichte er das Buch »Der Judenstaat«,
welches in der Welt sehr großes Aufsehen hervorrief. Besonders die armen, unterdrückten
Massen des osteuropäischen Judentums hofften auf baldige Erlösung. Als Theodor Herzl in
der Zeit vom 29. bis 31. August 1897 die Vertreter des Weltjudentums zum ersten
Zionistenkongreß nach Basel in die neutrale Schweiz berief nahmen 199 führende Männer
und interessierte Juden daran teil. Eine wichtige Bresche war geschlagen, die Welt horchte
auf und die Juden schöpften wieder Hoffnung. »Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen!«
rief Theodor Herzl den Juden zu. »Wenn ihr aber nicht wollt, so bleibt es ein Märchen!«
Damals klang es tatsächlich wie ein Märchen. Aber nicht mehr lange!
Fünfzig Jahre später, am 14. Mai 1948, wurde das Märchen Wirklichkeit! Am 1. August
1914 taumelte Europa in den Ersten Weltkrieg. Könige und Fürsten stürzten, Kaiser- und
Königreiche brachen zusammen, und die Machtverhältnisse verschoben sich total. Die
Vereinigten Staaten von Amerika traten als Weltmacht auf und der Weltkommunismus begann
seinen Siegeslauf. Und mitten im Ersten Weltkrieg brachte ein aus Rußland stammender Jude
dieses Märchen ein Stück seiner Erfüllung näher. Er war über die Schweiz nach England
eingewandert, war Doktor der Chemie und hieß Chaim Weizman. Die englische Admiralität
berief ihn zum Vorsteher der Laboratorien für die chemischen Kampfmittel der englischen
Kriegsindustrie in Manchester. Er war ein genialer Chemiker, machte viele Erfindungen und
besaß 40 Patente. Im Jahre 1916 erfand er aus Getreide das Grundmittel Aceton, das zur
Herstellung von Sprengstoff sehr wichtig war. So hatte England plötzlich einen ungeheuren
Vorsprung im Kriegsgeschehen und wollte Chaim Weizman aus Dankbarkeit dafür ehren. Dieser
sagte aber nur: »Nichts für mich, alles für mein Volk! - Helfen Sie uns, daß wir Juden
wieder einen Staat in unserer angestammten Heimat bekommen!«
Die englische Regierung ging auf diesen Wunsch ein, da Palästina für
sie die Brücke zu ihren Kolonien nach Ostasien und Indien werden sollte. Sie gaben darum
durch ihren Außenminister Lord James Arthur Balfour am 2. November 1917 eine Erklärung
heraus, die als die »Balfour-Erklärung« oder als die »Balfour-Deklaration« in die
Geschichte einging. Darin versprachen sie den Juden, ihnen in Palästina ein National-Heim
(»national home«) zuzugestehen. Obwohl sie dem Sherifen von Mekka ein großarabisches
Reich versprachen, wenn dieser ihnen helfen würde, gegen die Türken zu kämpfen, und
dadurch eine unwürdige Schaukel politik betrieben, war der Bann gebrochen: Die damals
größte Weltmacht, das Vereinte Königreich Großbritannien, versprach den Juden in der
alten Heimat Israel/Palästina eine nationale Heimstätte. Im Jahre 1917/1918 eroberten
die Engländer Jerusalem und Palästina, vernichteten das türkische Weltreich und er
hielten 1922 vom damaligen Völkerbund das Mandat über Palästina. Das Ziel des Staates
Israel, oder wie Theodor Herzl einst schrieb des »Judenstaates«, rückte dadurch immer
näher!