Seit 2000 Jahren wird den Juden
vorgeworfen, Jesus ans Kreuz geschlagen und getötet zu haben. Deshalb habe Gott sie auch
verflucht, bestraft und für immer verworfen.
Bereits die ersten Kirchenväter haben sich in geradezu diffamierender Weise über die
Juden als "die Christusmörder" geäußert:
Justinus (110 - 165 n. Chr.): "Ihr Juden habt den Gipfel eurer Verderbtheit
erreicht, da ihr den Gerechten gehaßt und verderbt habt...Ihr habt ihn, den einzigen
Fehlerlosen und Gerechten, gekreuzigt!"
Origines (185 - 254): "Die Juden haben Jesus ans Kreuz genagelt...daher fällt das
Blut Jesu nicht nur auf die Juden seiner Zeit zurück, sondern auch auf alle Generationen
der Juden bis ans Ende der Welt."
Eusebius (260 - 330): "Die Juden sind bei dem von ihnen begangenen Gottesmord
blind und verstockt."
Chrysostomus (354 - 407) bezeichnete "die Synagoge" als "die Versammlung
der Christusmörder", Gregor von Nyssa (330 -395) beschimpfte die Juden als
"ruchlose Mörder des Herrn" und Hieronymus (345 - 420) nannte sie solche, die
"in Judas ihr Ebenbild haben."
Aufgrund dieser haßerfüllten Aussagen kirchlicher Repräsentanten der Frühzeit
entwickelte sich eine verhängnisvolle "christliche Theologie", die mit gewissen
Ausnahmen bis heute ausschließlich die Juden als die "Christusmörder von Golgatha"
bezichtigt und sie als "für immer von Gott Verfluchte und Verworfenen"
brandmarkt.
Doch der Vorwurf ist falsch und unhaltbar, daß allein die Juden für den Tod Jesu
verantwortlich sind.
Maximal 4000 Juden forderten den Tod Jesu
1. Es ist faktisch falsch, daß am Prozeß gegen Jesus alle Juden bzw. das
gesamt jüdische Volk beteiligt war.
Es war eine jüdische Minderheit, die den Tod Jesu beschloß. Sie bestand aus den
Mitgliedern des Hohen Rates, von denen die meisten Sadduzäer, Pharisäer und
Schriftgelehrte waren (Matthäus 27,1.2). Es war die von der römischen Besatzungsmacht
beglaubigte Führerschaft des unterjochten Judentums, die sogar noch mit der Römern
gemeinsame Sache machte und wegen ihrer weithin unbarmherzigen religiösen Forderungen im
Volk wenig Resonanz fand. Sie repräsentierte darum in Wirklichkeit auch nicht das
jüdische Volk.
Auch die Menge, die von Pilatus lautstark den Tod Jesu forderte, war weder die Mehrheit
des Volkes noch das gesamte jüdische Volk. Vier Tatsachen verdeutlichen dies:
1. Wenn Matthäus und Johannes mehrfach "das Volk", "das ganze
Volk" oder "die Juden" nennen (Matthäus 27,20.25; Johannes 18,31.38;
19,7.12.14 u. a.), dann ist dies nicht universal, sondern pauschal zu verstehen. Ähnlich
wie man auch heute zumeist pauschal "die Russen" oder die "die
Amerikaner" sagt, ohne sie wirklich alle zu meinen.
2. Zur Zeit Jesu gab es ca. 4,5 Millionen Juden auf der Welt. Sie konnten nicht alle
zum Passahfest nach Jerusalem kommen. Zwar kamen von ihnen viele - der jüdische
Historiker Josephus Flavius schreibt von 180.000. Diese zweifellos beträchtliche Zahl war
aber auch im Blick auf die Gesamtzahl aller auf der Welt lebenden Juden doch sehr gering.
Die Mehrheit der jüdischen Weltbevölkerung hatte also mit dem Prozeß gegen Jesus von
Nazareth nicht das geringste zu tun.
3. Weder die in Jerusalem weilenden jüdischen Pilger noch die Bewohner Jerusalems
konnten sich schon aus "Platzgründen" nicht alle an der Anklage gegen Jesus
beteiligen. Denn die Verhandlung vor Pilatus fand im Innenhof der Burg Antonia statt, den
Johannes als "Richtstuhl" bezeichnete (Johannes 19,13). Dieser Innenhof der
römischen Garnison ist von Archäologen in seiner ganzen Größe ausgegraben worden und
ist 2000 qm groß. Darauf konnten dichtgedrängt 4000 Personen einen Stehplatz finden.
Also konnten im Maximalfall auch nur 4000 Menschen von Pilatus die Kreuzigung Jesu
fordern. Sie aber waren nur 2,2 Prozent der zur Passahzeit in Jerusalem weilenden
jüdischen Pilger und weniger als 0,1 Prozent aller auf der Welt lebenden Juden. Sie waren
deshalb auch weder repräsentativ für die jüdischen Pilger noch für die jüdische
Weltbevölkerung.
4. Weder alle Juden noch die meisten Juden waren damals bewußt gegen Jesus
eingestellt. Die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung wußte entweder von ihm nichts oder
war ihm gegenüber gleichgültig eingestellt, aber keinesfalls feindlich gesonnen.
Wiederholt waren Tausende um Jesus, sympathisierten mit ihm oder verehrten ihn sogar.
Viele bereiteten ihm einen triumphalen Einzug in Jerusalem. Und nicht wenige folgten ihm
nach!
Es ist deshalb falsch, dem gesamten jüdischen Volk bzw. allen Juden die Schuld am Tod
Jesu zu geben. Wer dies tut, handelt genauso ungerecht, als wenn man 60 Millionen Deutsche
für den Tod Dietrich Bonhoeffers oder für Hitlers Verbrechen an den Juden beschuldigen
würde. Wie nicht alle Deutschen Dietrich Bonhoeffer aufgehängt oder sechs Millionen
Juden umgebracht haben, wohl aber eine Anzahl von Deutschen, so haben auch nicht alle
Juden sich am Prozeß gegen Jesus beteiligt, wohl aber eine Anzahl von Juden, einige
Pharisäer, etliche Sadduzäer. Und genau dies entspricht den wirklichen Tatsachen!
Kann man 80 Generationen für den Tod Jesu verantwortlich machen?
2. Es ist juristisch falsch, die Juden aller Zeiten für den Tod Jesu
verantwortlich zu machen.
So wenig wie ein Richter die Kinder für die Schuld der Eltern verantwortlich machen
kann, so wenig kann man die Schuld der aus Roms Gnaden amtierenden religiösen jüdischen
Führer und der von ihnen aufgehetzten 4000 Menschen auf die mehr als 80 folgenden
Generationen des gesamten über die Erde zerstreuten jüdischen Volkes übertragen. Und so
wenig wie man der heute lebenden jungen deutschen Generation die Schuld für die
Verbrechen ihrer Väter an den Juden anlasten kann, so wenig kann man auch die heute
lebende jüdische Generation für den Tod Jesu im Jahre 33 verantwortlich machen.
Schuld gegen Gott und Menschen ist zwar Schuld und unterliegt bei Gott keiner
Verjährungsfrist, aber sie ist nicht laufend übertragbar.
Gott sucht wohl die Sünden der Väter heim bis in die dritte und vierte Generation (2.
Mose 20,5), aber nicht in dem Sinne, daß er sich auf ewig an allen Generationen blutig
rächt (wie sich oft "Christen" "für den Tod ihres Herrn" grausam an
den Juden gerächt haben").
"Jesus Christus...gelitten unter Pontius Pilatus"
3. Es ist faktisch und juristisch falsch, nur Juden die Schuld am Tod Jesu zu
geben.
An dem Prozeß und der Kreuzigung Jesu waren nicht nur Juden, sondern auch Römer
beteiligt:
Nach dem Neuen Testament haben darüber hinaus alle Menschen Schuld am Tod Jesu (Römer
3,9 - 12.23.24). Darum sind auch alle Menschen aus allen Rassen, Völkern und Nationen
"die Christusmörder von Golgatha." Diese Tatsache findet auch in zahlreichen
Passionsliedern ihren Ausdruck, so u.a.:
"Was ist doch wohl die Ursach' solcher Plagen? Ach, meine Sünden haben dich
geschlagen. Ich, mein Herr Jesu, habe dies verschuldet, was du erduldet."
Gott hat den Tod Jesu vorprogrammiert
Das Leiden und Sterben Jesu muß auch unter einem heilsgeschichtlichen Gesichtspunkt
gesehen werden. Gottes eindeutig erklärter Wille war, daß Jesus sterben mußte (Jesaja
53 u. a.). Jesus lebte ständig in dem Bewußtsein, dieser leidende Gottesknecht von
Jesaja 53 zu sein. Er hatte deshalb von Anfang an ein klares Vorauswissen über seinen
Leidensweg (Markus 8,31) und ließ sich deshalb bereitwillig verhaften, weil die Schrift
erfüllt werden mußte (Markus 14,49). Er schwieg darum auch zu den gegen ihn erhobenen
Anklagen (Markus 14,61) und starb mit Worten auf den Lippen aus den Psalmen. Weil Gott es
so wollte. Um der Sünden der Menschen willen (1. Korinther 15,3.4).
Zwar war der Tod Jesu historisch und juristisch gesehen ein Justizmord, ein
Märtyrerschicksal - heilsgeschichtlich jedoch war er ein gottgewollter Sühnetod für
unsere Sünden und zugleich ein Heilstod zu unserer Errettung.
Darum muß sowohl der Kreis der Schuldigen als auch der Kreis derer, die durch seinen
Tod Vergebung und Erlösung finden, über den der damals schuldiggewordenen und
erlösungsbedürftigen Juden und Römer auf alle Menschen aller Zeiten ausgedehnt werden.
Selbstverfluchung oder Heilswunsch?
Wie aber ist dann zu erklären, daß "Christen" 2000 Jahre lang den Juden die
Kollektivschuld am Tod Jesu gaben, sie abgrundtief haßten und blutig verfolgten?
Einer der entscheidenden Gründe hierfür ist der vor Pilatus lautstark vorgetragene
Ausspruch des aufgehetzten jüdischen Pöbels: "Kreuzige ihn. Sein Blut komme über
uns und unsere Kinder" (Matthäus 27,23.25), der von den Christen von Anfang an in
verhängnisvoller Wiese als jüdische Selbstverfluchung mißdeutet wurde.
Wer aber will schon den Fluch einer Tötung auf sich laden? Wer wünscht schon, daß
das Blut eines Menschen, an dessen Tod man mitgewirkt hat, als Fluch über ihn und seine
Kinder komme?
Muß deshalb diese angebliche Selbstverfluchung nicht vielmehr als ein - wenn
vielleicht auch unbewußter - von Gott gewirkter Heilswunsch gedeutet werden, daß das
Blut Jesu auch für sie und ihre Nachkommen vergossen werde "zur Vergebung der
Sünden"? Denn als Jesus sein Blut vergoß, vergoß er es für alle Menschen - auch
für die Juden!
Wären nämlich die Worte "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder"
wirklich eine Selbstverfluchung gewesen,
dann ist es unerklärlich,